Was im Restaurant auf den Tisch kommt, ist das eine. Worauf man beim Essen sitzt, das andere. Wiener Gastronomen und Köche erzählen, warum der Stuhl im Gasthaus eine so wichtige Rolle spielt.

Stefanie Herkner und einer ihrer "Austria"-Stühle, die ihr sehr am Herzen liegen. Bekannt sind sie vor allem durch ihren Auftritt in alten Beamtenstuben und Kaffeehäusern.
Foto: Nathan Murrell

Der Stuhl spielt in einem Wirtshaus eine sehr wichtige Rolle. Er ist es, der den Gast verweilen lässt. Ich finde es furchtbar, wenn man auf einem Superdesignstuhl sitzt, das Ding aber unbequem ist. Ich verstehe mein Gasthaus als eine Art Wohnzimmer. Alle Stücke sind persönlich von mir zusammengetragen worden und haben ihre eigene Geschichte. So verschieden wie meine Einrichtung, so divers ist auch mein Publikum. Ich find das cool. Da hat kein Architekt seine Finger mit im Spiel. Jede Woche kommen Leute von der Gasse herein und wollen einfach nur schauen.

"Mein Gasthaus ist eine Art Wohnzimmer."

Meine Stühle sind mir ans Herz gewachsen. Meine Eltern hatten seinerzeit in ihrem Wirtshaus Zum Herkner im 17. Bezirk ähnliche Sitzmöbel von Thonet. Die waren super. Meine sind von Wiesner-Hagner, ich schätze, sie stammen aus den 1950er-Jahren. Die Kollektion hieß "Austria-Stühle". Sie wurden sehr gern in Beamtenstuben eingesetzt. Für Vorgesetzte gab es ein Modell mit Armlehnen. Man kennt sie aber auch aus Kaffeehäusern. Also ich wollte unbedingt diese Stühle, was sich als schwieriges Unterfangen herausstellte.

Thomas Bernhards Bank

Eine Quelle, die ich anzapfen wollte, hat ein Vermögen verlangt, und das wollte ich nicht ausgeben. Was glauben Sie, was es kostet, so ein Gasthaus aufzusperren?! Allein die Lüftung kostete so viel wie ein gescheites Auto. Durch eine glückliche Fügung geriet ich an einen Händler namens Sesselkönig. Der hat mir einen Superpreis gemacht. Ich war wirklich happy. Ich glaube, es sind 35 Stück. Einen der Stühle hat ein Freund in Salzburg auf der Straße gefunden. Es gibt auch noch Sitzbänke und drei andere, schwarze Stühle, sozusagen "Fremdgeher". Die sind bei den Gästen nicht so beliebt, passen aber gut zu dem Jugendstil-Tisch, an dem sie stehen. Ich habe übrigens im Lokal auch eine Bank, die einst im Bauernhaus von Thomas Bernhard stand. Nein, ich hänge keine Gedenktafel drüber.

Ich würde den Stil meines Gasthauses als "gemütlich" bezeichnen. Was das heißt? Das heißt, es ist geerdet, bodenständig und hat Herz. Kein Chichi. Ein Ort, an dem man umsorgt wird. Es ist wie bei meinen Speisen. Man sagt "Hausmannskost". Ich würde es "Hausfrauenkost" nennen, denn es waren lange Zeit fast nur Frauen, die zu Hause gekocht haben. Ich spreche von Grießnockerl-Rindssuppen, wie man sie früher machte, von faschiertem Braten mit Erdäpfelpüree, Knödeln und solchen Dingen.

Mache ich einmal etwas anderes, heißt es sofort: "Wann gibt's wieder faschierten Braten?" Das Ganze hat etwas mit Nostalgie zu tun. Die Menschen stehen in dieser schnelllebigen Zeit ständig unter Strom und freuen sich darauf, einfach zu verweilen. Bei mir gelingt das. Neulich hat ein Gast zu mir gesagt: "Frau Herkner, mit Ihren Zwetschgenknödeln haben Sie mir ein Stück Kindheit zurückgegeben." Ich denke, auch diese Stühle tragen zu dieser Welt bei. Stellen Sie sich doch einen coolen, gelackten Designerstuhl bei mir vor. Das wäre einfach nicht authentisch. (Michael Hausenblas, Rondo, 12.10.2019)