STANDARD: Sie kochen seit zwei Jahren in Zug am Chef's Table des Hotels Rote Wand und haben aus dem Stand drei "Gault Millau"-Hauben und fünf "A la Carte"-Sterne erkocht: Wie wichtig sind solche Rankings für Sie?

Natmessnig: Rankings sind einerseits sehr wichtig, aber für mich ist das Wichtigste, dass sich der Gast wohlfühlt. Es muss alles harmonisch sein. Am Chef's Table merken wir das auch sofort, weil wir direkt vor den Gästen kochen und gleich Feedback bekommen. Aber ja, auf die Hauben kann man schon stolz sein.

STANDARD: Nach Stationen im Steirereck, in Frankreich, Holland und New York haben Sie Ihre Lehrjahre abgeschlossen und kochen jetzt in Ihrer eigenen Küche.

Foto: Marcel Hagen

Natmessnig: Der Lernprozess ist aber trotzdem nie abgeschlossen. Im Ausland habe ich auch viel Handwerkliches gelernt, verschiedene Küchentechniken oder das Kochen mit unterschiedlichen Produkten, wie mit Meeresfischen. Aber auch heute lerne ich jeden Tag dazu. Ich tausche mich ständig mit meinen Mitarbeitern aus. Mir ist es wichtig, die Vorschläge meines Souschefs und meiner Mitarbeiter einfließen zu lassen. In meiner Küche führt Teamwork zum perfekten Gericht. Deswegen bin ich immer offen für Anregungen, und wir wägen gemeinsam ab, was am besten ist.

STANDARD: Tradition spielt in der österreichischen Küche eine große Rolle: Sehen Sie das als Last oder als Verantwortung?

Natmessnig: Es ist ein Spagat. Im Schualhus haben wir oben den Chef's Table – dort kochen wir modern und innovativ . Unten in der Jausenstuba haben wir eine Tageskarte mit diversen Gröstln, Buttermilchschmarren oder Erdbeerknödeln.

STANDARD: Sie sind für beide Küchen verantwortlich. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Natmessnig: Ich will nicht die österreichischen Klassiker neu interpretieren. Bei mir steht das Produkt im Vordergrund, ich versuche, so viel wie möglich wegzulassen. Natürlich ist das schwierig, es darf kein Fehler passieren. Mit nur drei, vier Komponenten muss das Gericht perfekt sein. Am Chef's Table zählt natürlich auch die Show dazu. Der Gast sieht, hier passiert etwas, hier wird gekocht. Wir vollenden die Gerichte immer vor dem Gast.

STANDARD: Die Gäste schauen Ihnen ständig auf die Finger?

Natmessnig: Ja, eine lockere Atmosphäre ist mir sehr wichtig. Es gibt Lokale in Frankreich, in denen alles sehr steif ist. Da traut man sich gar nicht, den Kellner anzusprechen. Das will ich nicht. Bei uns ist genau das Gegenteil der Fall. Der Gast soll eine schöne Zeit haben und die entspannte Atmosphäre genießen.

Der gebürtige Niederösterreicher Max Natmessnig kocht am Chef's Table vor den Augen der Gäste mit vorwiegend regionalen Produkten.
Foto: Rote Wand / Die West

STANDARD: Dieses Konzept ist relativ neu in Österreich. Haben Sie das aus den USA mitgebracht?

Natmessnig: Nein, in den USA war es sehr streng und kühl. Wir wollten die österreichische Gemütlichkeit mit Fine Dining kombinieren. Das haben wir für uns adaptiert. Der Gast will ja mit dem Koch reden können und Fragen stellen.

STANDARD: Welche Rolle spielen für Sie regionale Produkte?

Natmessnig: Regionalität ist mir sehr wichtig, und wir zeigen, dass wir damit Wahnsinnsresultate erzielen. Und wir unterstützen damit auch die Bauern und Produzenten. Wir bekommen beispielsweise von Markus Linz eine Pekingente, die er nur für uns züchtet. Es gibt sensationelle Produkte in Vorarlberg und in ganz Österreich. Wenn wir internationale Gäste haben, hat es doch keinen Sinn, ihnen einen Steinbutt aus Frankreich zu servieren. Wir wollen ihnen die Vielfalt der regionalen Produkte zeigen.

STANDARD: Damit müssen Sie aber auch auf Produkte wie Meeresfische ganz verzichten.

Natmessnig: Wir nehmen gar keine Meeresfische. Wir haben immer wieder darüber diskutiert, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, die Produzenten hier zu unterstützen. Wir haben Süßwassergarnelen aus Tirol, Flussbarsche, Krebse und Zander aus dem Bodensee, Milch und Butter kommen direkt aus Zug.

STANDARD: Bei manchen Produkten können Sie aber nicht auf Regionales zurückgreifen, etwa bei Zitrusfrüchten.

Natmessnig: Das ist tatsächlich schwieriger, aber wir hatten schon Zitronen aus Seibersdorf, die mein Vater dort anbaut.

STANDARD: Eine Karotte ist ja nicht nur eine Karotte, es gibt zig Sorten. Achten Sie auf die Vielfalt der Sorten?

Natmessnig: Ja, das war anfangs eine Herausforderung. Wir mussten den Bauern und Produzenten auch mitgeben, dass wir einen bestimmten Anspruch an Junggemüse haben. Mittlerweile bekommen wir wöchentliche Whatsapp-Benachrichtigungen, was gerade verfügbar ist. Wir Köche am Arlberg tauschen uns aber auch intensiv über Produkte aus. Durch diese Vernetzung kommen wir auch an Ware, auf die wir sonst nicht stoßen würden. Es gibt sogar Safran aus Vorarlberg.

Foto: Marcel Hagen

STANDARD: Ist Kochen mehr Kunst oder Wissenschaft?

Natmessnig: Kochen ist Handwerk. Es ist jeden Tag eine neue Herausforderung – wie ein Fußball-Endspiel. Und wir wollen jeden Tag 100 Prozent bringen: Wir müssen ja unsere Hauben verteidigen.

STANDARD: Kochen ist stark trendgeprägt. Die Molekularküche war lange angesagt, in Wien steht zurzeit gefühlt auf jeder zweiten Karte Beef Tartare. Wie halten Sie es mit solchen Trends?

Natmessnig: Wir beobachten die Trends. Von manchen bleiben Techniken oder Hilfsmittel über, die ich verwende. Von der Molekularküche verwende ich das Bindemittel Xanthan. Eigentümer Joschi Walch ist da auch sehr fokussiert. Er will kein Beef Tartare auf der Karte, das brauchen wir auch nicht. Wir haben eine eigene Zuger Hirsch-Pâté. Oder wir haben Knochenmark mit Vorarlberger Schnecken. So etwas finden Sie nicht oft auf anderen Karten! Wir versuchen, anders zu sein. Wir wollen zeigen, dass hier etwas Schönes passiert.

Foto: Magdalena Walch

STANDARD: Setzen Sie diese Trends unter Druck?

Natmessnig: Druck gibt es immer, aber den darf man nicht zulassen. Kochen soll Spaß machen, das muss im Vordergrund stehen.

STANDARD: Wo finden Sie eigentlich Inspiration für Ihre Gerichte?

Natmessnig: Die hole ich mir gerne aus der Natur, beim Spazierengehen. Oder wenn ich mit meinen Mitarbeitern über Gerichte spreche. Auch wenn mir ein Produzent etwas anbietet. Wenn er mir ein Perlhuhn zeigt, dann überlege ich gleich, was wir daraus machen können. Aber natürlich geben auch die Jahreszeiten einen Rahmen vor, da kann man angenehm arbeiten und sich inspirieren lassen.

STANDARD: Das sieht man auch an Ihrem Fensterbrett. Da stehen einige Gläser mit Kräutern und Beeren.

Natmessnig: Wir bereiten uns immer schon im Sommer auf den Winter vor und legen Zwetschken, Paradeiser, Pilze, Erdbeeren oder Preiselbeeren ein.

STANDARD: Bleibt Ihnen eigentlich noch Zeit, privat zu kochen?

Natmessnig: Ja, privat mag ich am liebsten einfache Gerichte: Pasta, japanische Speisen oder einfach ein Hendl ins Rohr schieben. (Marie-Theres Egyed, Rondo, 16.10.2019)