Die traditionsreichen französischen Modehäuser Paco Rabanne, Mugler und Courrèges (v. li.) werden von neuen Kreativchefs modernisiert, ohne dabei ihre Identität zu verlieren.
Foto: APA / AFP / Thomas Samson, Courrèges

Der Pariser Canal Saint-Martin bei Anbruch der Dämmerung. Unter den eisernen, an diesem Abend neonorange beleuchteten Bogenbrücken kommt ein kleines Lastschiff herausgefahren, aus dem dichter, weißer Nebel quillt. Begleitet vom unheimlich klingenden Sound der Sängerin Lafawndah werden die Models darin ans Ufer gebracht.

Das Setting der letzten Prêt-à-porter-Show des französischen Modehauses Courrèges war spektakulär und dennoch simpel. Ein paar einfache Holzklappstühle, die entlang des Kanals aufgestellt waren und an denen die Models vorbeiliefen – mehr brauchte es für das Defilee nicht.

"Mir ist Authentizität wichtig. Ich brauche keine Dekoration, die nicht real ist", sagte Yolanda Zobel, Kreativdirektorin der Marke, als wir sie in der Woche zuvor im Firmensitz in der Rue François 1er treffen. "So habe ich auch nicht das Problem, dass ich ein Set baue, das ich danach nicht mehr verwenden kann. Bei allen Events, Backstage oder für die Installationen der Show, verwenden wir ausschließlich wiederverwertbare oder wiederverwertete Materialien."

Auf die Zukunft zugeschnitten

Mit dieser Einstellung könnte die deutsche Designerin, die vor einem Jahr die kreative Leitung des Hauses übernahm, derzeit nicht richtiger liegen. In Zeiten des Klimawandels sind bombastische Show-Locations, bei denen Unmengen an Material für eine fünfzehnminütige Show verschwendet werden, tatsächlich nicht mehr zeitgemäß.

Mit ihrem umweltbewussten Ansatz hat Yolanda Zobel es geschafft, das Haus Courrèges relevanter denn je zu machen. Was bei einem in den 60er- oder 70er Jahren gegründeten Modehaus nicht so einfach ist. Viele Designer halten zu sehr an der Vergangenheit fest, es gelingt ihnen nicht, die historischen Codes auf die heutige Zeit zu übertragen.

Nicht so Yolanda Zobel. Bei ihrer ersten Modenschau im September 2018 verkündete die 44-Jährige sogar, von nun an kein Plastik mehr zu verwenden. Ein mutiger Schritt. Immerhin wurde der Gründer André Courrèges in den 60er-Jahren neben Miniröcken und futuristischem Design vor allem für seine Blouson-Jacken aus Vinyl bekannt.

Seit 2013 ist Julien Dossena Chefdesigner bei Paco Rabanne. Der 37-jährige Bretone bringt seine eigene Handschrift in die Marke ein.
Foto: APA/AFP/ Thomas Samson

Zobel sieht darin kein Problem. "Courrèges steht für Revolution, für Emanzipation, für Neuheit, dafür, visionär zu sein und in die Zukunft zu sehen. Das halte ich mehr für den Wiedererkennungswert des Hauses als ein bestimmtes Material. Es geht ums Jetzt und darum, dass man handeln und Verantwortung übernehmen muss. André Courrèges hätte das heute genauso gemacht."

Trotzdem möchte sie der Marke ihre visuelle Identität natürlich nicht nehmen. Zusammen mit Stofflieferanten arbeitet sie täglich daran, adäquate Ersatzmaterialien für die berühmten Looks aus Vinyl zu finden. Derzeit sorgt ein auf Algen basierter Stoff, der nur zu zehn Prozent aus Plastik besteht, dafür, dass Courrèges auf seine berühmten Jacken nicht verzichten muss.

Aber auch neue, gänzlich nachhaltige Materialien bringt Zobel zum Einsatz, wie zum Beispiel die Haut des Pirarucu-Fischs, der in Brasilien gegessen wird und dessen Haut bisher ein reines Abfallprodukt war. In der Kollektion waren diese Häute als olivgrüne Krägen zu sehen oder als Aufnäher auf Jacken und Mänteln.

Altes Haus, neues Gesicht

Der Designer, der wohl am meisten für das erfolgreiche Wiederbeleben eines alten Hauses steht, ist Julien Dossena. Vor sechs Jahren übernahm der 37-Jährige Bretone die Marke Paco Rabanne, die 2006 ihre Türen schloss, nachdem der Gründer und Namensgeber das Haus sechs Jahre vorher verlassen hatte. Paco Rabanne hatte 1966 gleich mit seiner ersten Kollektion für Furore gesorgt, indem er zwölf selbsternannte "untragbare Kleider aus zeitgenössischen Materialien" präsentierte. Seine berühmten Kreationen aus mit Ketten zusammengehaltenen Plastik- oder Metallplatten, mit denen sich französische Stilikonen wie Catherine Deneuve oder Françoise Hardy gern zeigten, haben sich seither unwiederbringlich in das kollektive Modegedächtnis eingebrannt.

Die Deutsche Yolanda Zobel übernahm letztes Jahr die kreative Leitung des Labels Courrèges. Sie setzt auf Innovation und Nachhaltigkeit.
Foto: Christophe Archambault

Allein, was in der damaligen Zeit funktionierte, ist heute nicht unbedingt gefragt. Die Gesellschaft hat sich verändert und somit auch die Ansprüche der Käufer. "Um wieder eine Kundschaft zu finden, musste ich diese Garderobe durch eine pragmatischere Sprache erweitern, die über die Erinnerung an die 60er-Jahre, über Radikalität und einen künstlerischen und avantgardistischen Disco-Esprit hinausgeht", erklärte Dossena in einem Interview.

Auch wenn der Franzose immer wieder mit den Klischees der Marke spielt, hat er Paco Rabanne doch seine ganz eigene, zeitgenössische Handschrift verpasst. Das typische Kettenhemdkleid wirft er zum Beispiel nonchalant über ein sportliches rotes Poloshirt. Und den Vibe der 60er-Jahre hat er diese Saison gegen die psychedelischen 70er eingetauscht. Zum ersten Mal zeigte er außerdem auch Männerlooks in seiner Kollektion. Ein klares Zeichen dafür, dass die Geschäfte gut laufen.

Inklusive Mode

Casey Cadwallader ist gerade dabei, die Marke Mugler wieder ganz nach oben zu bringen. Der 38-jährige Amerikaner übernahm das legendäre Haus vor gut einem Jahr von David Koma. Dieser wiederum war auf Nicola Formichetti gefolgt, den Stylisten von Lady Gaga. Die größte Schwierigkeit Cadwalladers war es aber, in die Fußstapfen des legendären Thierry Mugler zu treten, der mit seinen körperbetonten Designs und gigantischen Shows die Mode der 80er- und 90er-Jahre geprägt hat.

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Der neue Mugler-Kreativdirektor Casey Cadwallader bringt Lockerheit und Body-Positivity auf den Laufsteg.
Foto: Getty Images / Patrick Aventurier, Courrèges

Cadwallader musste sich davon zu befreien. "Man darf sich nicht selbst belügen", sagte er vor seiner ersten Show zu Le Monde. "Wenn wir die Maschine wieder in Gang bringen und auf Dauer bleiben wollen, dürfen wir uns vor allem nicht für größer halten, als wir sind."

In seiner ersten Show im September letzten Jahres ließ er es deswegen bewusst langsam angehen und lud nur rund 200 Gäste ein. Auch modisch gesehen brach er mit seinen Vorgängern. Seine erste Kollektion hatte eine sportliche, komfortable Note, die nicht so sehr auf die Anatomie bezogen war, wie es die Historie des Hauses eigentlich vorschreibt.

Das Konzept ging auf. Mugler gehört heute wieder zu den angesagtesten Shows der Pariser Modewoche. Diese Saison setzte der Designer ganz auf inklusive Mode und kehrte damit gleichzeitig zu den Ursprüngen des Hauses zurück. Durch Schnitte und Stretch-Materialien brachte er jegliche Körperteile zur Geltung: die Schultern, das Dekolleté, die Taille, die Hüften, Hintern und Knöchel.

Neu daran ist, dass Cadwallader seine körperbetonte Mode nicht nur für perfekt geformte Frauen entwirft. Eröffnet wurde die Show zwar von der skulpturalen Bella Hadid in einem gecroppten Blazer, ohne Hose, nur mit einer schwarzen Nylonstrumpfhose bekleidet. Danach aber ließ Cadwallader Models aller Art defilieren: runde, dünne, Senioren und auch Männer. Eine absolut zeitgemäße Show und dennoch Mugler durch und durch.

Sich am Vergangenen zu orientieren, ohne dabei die Gegenwart und vor allem sich selbst aus den Augen zu verlieren – genau das macht wohl das Erfolgsrezept aus. (Estelle Marandon, Rondo, 27.11.2019)