Klima-Faschismus", "Klima-Krieger" und das Drohen eines "Öko-Regimes": Extinction Rebellion (XR) sei eine Gefahr für die Demokratie, ja sogar gefährlicher als der Klimawandel selbst, so lauten die Argumente zahlreicher Medien, die nicht mit radikaler Kritik an der in ihren Augen radikalen Protestbewegung geizen. Selbst von der vermeintlich eigenen Seite gibt es alles andere als nette Worte: Die Ökoaktivistin und einstige Grüne Jutta Ditfurth riet Kindern und Jugendlichen davon ab, sich XR anzuschließen. Sie sei keineswegs eine gewaltfreie Klimabewegung, sondern eine "religiös-gewaltfreie esoterische Sekte", schrieb die Deutsche auf Twitter. Nur, was ist daran wahr?

Der britische Umweltaktivist Roger Hallam, Mitbegründer von XR, wird in diesem Fall gern angeführt. Das Vorgehen vergleicht er mit jenem des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi; es sei eine historische Tatsache, dass dabei Menschen ums Leben gekommen seien, sagte er der BBC. Tote wolle er also in Kauf nehmen, so die Interpretation, um eine Umwälzung der bestehenden Systeme zu erreichen. Und als wäre das nicht genug, will XR, so eine der drei Kernforderungen, Politik ganz neu gestalten: Bürgerversammlungen sollen in Zukunft die Entscheidungen treffen, um die Klimakrise zu überwinden und so das Aussterben der Menschheit zu verhindern. Menschen aus der Bevölkerung, die nicht wiedergewählt werden müssen, würden besser zum Wohle aller entscheiden, wird argumentiert.

STANDARD- Videoporträt der Protestbewegung Extinction Rebellion.
DER STANDARD

Das sind in der Tat radikale Ansichten, die bewusst propagiert werden, um aufzurütteln und gern auch zu schockieren. Und ja, da es bei XR keinerlei Kriterien für eine Beteiligung gibt, finden sich unter den all den Demonstranten auch Menschen mit, nun ja, fragwürdigem Weltbild.

Ziviler Ungehorsam

Doch lässt man all die Wortspenden einmal beiseite und konzentriert sich auf das, was auf den Straßen in zahlreichen Städten passiert, muss eines konstatiert werden: Es ist nach heutigem Stand ziviler Ungehorsam, der jegliche Gewalt verbietet. Wer Polizisten beleidigt, so eine Regel, darf nicht mehr mitmachen. Verwaltungsstrafen werden akzeptiert. Straßen und Schienen werden mittels "Die-ins" blockiert, und wenn es denn stimmt, wird in seltenen Fällen der Flugverkehr mit Drohnen blockiert.

Das ist ärgerlich für die Betroffenen, ärgerlich für Behörden, die so sehr auf das Funktionieren ihrer Infrastruktur achten. Doch das gehört zum Prinzip des zivilen Ungehorsams: sich bemerkbar machen und stören, die Menschen aus ihrer Alltagsroutine befördern, um auf das Kernanliegen aufmerksam zu machen. Sonst hätte das alles ja keinen Sinn. Nur eine Grenze darf nicht überschritten werden: Gewaltanwendung, in welcher Form auch immer. Hoffentlich bleibt es dabei.

Demonstration der Protestbewegung in Dublin.
Foto: APA/AFP/PAUL FAITH

XR ist, wenn man so will, die gern wütende und alle anderen nervende Schülerin in der letzten Reihe, die oft nachsitzen muss, während Greta Thunberg mit Fridays for Future in der ersten Reihe sitzt und die Lehrer auf Fehler aufmerksam macht. Das eine ist nicht besser als das andere, und erst recht ist nichts davon schlecht, wenn es darum geht, den Klimawandel zu bekämpfen.

Gebraucht werden beide Bewegungen und mit ihnen auch alle anderen, die es nicht zu vergessen gilt. Denn erreicht ist noch nicht viel, wenn man sich etwa das magere Klimapaket der deutschen Regierung zu Gemüte führt. Der Protest muss weitergehen – bis sich wirklich etwas ändert. (Kim Son Hoang, 8.10.2019)