Die Aktivisten von Extinction Rebellion wählen in der deutschen Hauptstadt zentrale Plätze für ihre Protestaktionen aus.

Foto: AFP / Michele Tantussi

Es ist schon doof, dass es so kalt geworden ist. Und mein Zelt ist auch nicht dicht", sagt Mona und zieht ihre zwei Wollschals enger um den Hals. Einen Kräutertee hat sich die 21-jährige Studentin der Kulturwissenschaften gerade geholt. Aber echte Camper wissen ja: Diese Wärme hält nicht lange, erst recht nicht bei Dauerregen.

Doch Mona bereut keine Sekunde, dass sie aus Leipzig angereist ist, um sich mit 2000 Mitstreitern für diese Woche im Protestcamp von Extinction Rebellion (XR) einzuquartieren und für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. "Es ist eine Frechheit, wie wenig die Regierung tut", meint sie, "daher müssen wir die Aktionen jetzt einfach verschärfen."

Von der Polizei geräumt

Während die Fridays-for-Future-Bewegung nach den Spielregeln protestiert, setzen die XR-Aktivisten auf zivilen Ungehorsam. In Berlin schafften sie in den ersten beiden Tagen Blockaden zentraler Verkehrsknotenpunkte wie der Siegessäule und des Potsdamer Platzes. Zur Räumung musste die Polizei anrücken.

Organisiert wird der Widerstand gegen die Politik von Kanzlerin Angela Merkel originellerweise direkt vor deren Haustür. Die Genehmigung hat das Bezirksamt Mitte erteilt, im Kanzleramt sah man kein Problem, diese Woche hat Merkel keine Gäste, für die erhöhte Sicherheitsstufe nötig ist.

Unzählige bunte Zelte stehen auf der Wiese neben dem Kanzleramt. "Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht DU?" fragt ein Pappschild unweit des Eingangs und des "Öklos" mit den Sägespänen.

Für die nächste Generation

"Die Stimmung ist sehr gut", freut sich Flo aus Nürnberg. Eigentlich sollte er daheim sein, der kleine Sohn hat seine erste Woche im Kindergarten. "Aber ich habe mich doch sehr gedrängt gefühlt, hier dabei zu sein, ich kämpfe ja auch für meine Kinder und die nächste Generation", meint er.

Er muss jetzt gleich Essensmarken holen, es gibt veganen Eintopf aus Lebensmitteln, die von Supermärkten weggeworfen wurden, grundsätzlich finanziert sich das Camp aus Spenden. Langweilig soll es den Rebellen während der Wartezeiten auf neue Einsätze natürlich auch nicht werden.

Schmetterlinge basteln

Auf dem Programm stehen nebst "Thriller Flash Mob Preparation" auch Vorträge zu den Themen "Umgang mit Leugner*innen der Klimakrise" und "Einführung in die Grundlagen der Psycho-Somato-Ökologie". Wer möchte, darf aus PET-Flaschen Blumen und Schmetterlinge basteln oder T-Shirts batiken.

Und man muss natürlich immer auf der Hut sein. Jederzeit kann eine neue Aktion starten. "Es ist meist chaotisch, aber irgendwie funktioniert die Kommunikation, dann rennen wir los", beschreibt Informatiker Flo den Auftrag.

Für Fridays for Future fühlt der 30-Jährige sich zu alt – "das richtet sich ja doch mehr an Schülerinnen und Schüler". Und ein bisschen zu brav sind ihm die Proteste auch. "Aber es haben natürlich alle Formen des Widerstands ihre Berechtigung, solange sie gewaltlos ablaufen."

In der deutschen Politik sehen das einige anders. So klagt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): "Sie blockieren frühmorgens Leute, die zu ihrer Arbeit fahren und die dafür sorgen, dass jeden Tag in Deutschland Wohlstand erwirtschaftet wird."

"Wirre Endzeitsekte"

Die AfD spricht von einer "wirren Endzeitsekte", auch aus den Reihen der Grünen gibt es Kritik. "Es gibt gute Gründe, endlich entschiedenes Handeln für den Klimaschutz zu fordern. Wer aber Demokratie und Rechtsstaat dafür über Bord wirft, wird ziemlich sicher auch den Kampf gegen den Klimawandel verlieren. Protest ja, Rebellion nein", sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.

Die Aktionen sollen noch diese Woche andauern, heute, Mittwoch, könnte die Marschallbrücke mitten im Regierungsviertel blockiert werden. (Birgit Baumann aus Berlin, 8.10.2019)