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Im April gewann Eliud Kipchoge den London-Marathon mit neuem Streckenrekord. In Wien will er noch ein bisserl schneller laufen.
Foto: REUTERS/Paul Childs

FÜR: Event als Gesamtkunstwerk

von Martin Schauhuber

Die Uhr ist ein ehrlicher Gegner. Zwei Stunden sind immer zwei Stunden, drei Minuten immer drei Minuten, außer es ist Fußball-Nachspielzeit und Bayern braucht noch ein Tor. Eliud Kipchoge ist so gut, dass ihm nur die Uhr als Gegner geblieben ist. Der Kenianer ist 13 Marathons gelaufen und hat davon zwölf gewonnen. Nur 2013 in Berlin wurde er Zweiter, damals lief Wilson Kipsang Weltrekord.

Kipchoge ist eine Ausnahmeerscheinung. Er ist aber auch 34 Jahre alt, läuft ein oder zwei Marathons pro Jahr, 2020 sind Rekorde beim olympischen Saunamarathon in Tokio unmöglich. Viele Gelegenheiten mit guten Bedingungen und dementsprechendem Rennverlauf werden sich nicht mehr ergeben. Wer sagt da Nein, wenn ein riesiger Energiekonzern mit Faible für Sportswashing zur Kooperation einlädt?

Die Rahmenbedingungen werden also möglichst perfekt sein. Die Strecke ist flach, der Asphalt saniert, die schwierige Wende um das Lusthaus wurde mit einer leichten Steilkurve optimiert. Sünde, Sünde, schreit der Sportpurist, Marathon werde auf der Straße gelitten und nicht im Labor gelaufen. Kann man so sehen. Man kann den Event aber auch als Gesamtkunstwerk sehen, als penibel geplante Zusammenarbeit hunderter Beteiligter. Neil Armstrong ist auch nicht auf einem selbstgefalteten Papierflieger zum Mond geflogen.

41 Tempomacher sind eine – wohl auch zu PR-Zwecken – spektakuläre Zahl. Wer Kipchoges Leistung dadurch gemindert sieht, muss sich die Fragen gefallen lassen: Warum sind drei in Ordnung? Warum einer? Was wäre mit fünf? Auch Roger Bannisters erste Meile unter vier Minuten gelang nur dank zweier damals unüblicher "Hasen". 55 Jahre später ist der Brite eine Legende. Das wird auch Kipchoge sein, wenn er die 1:59 in sämtliche Sportgeschichtsbücher betoniert. (Martin Schauhuber, 9.10.2019)

WIDER: Ungeheuer erfolgreiche Marketingaktion

von Fritz Neumann

Wir haben gesiegt. 2509 Jahre ist es auch schon wieder her, dass ein griechischer Laufbote diesen Satz gesagt haben soll, ehe er tot zusammenbrach. So lautet die Legende, die Plutarch und Lukian ersannen. Der Bote soll nach der Schlacht von Marathon nach Athen gelaufen sein, um seine frohe Botschaft zu verkünden und sein unfrohes Ende zu finden. Doch die Geschichte ist ein Gschichtl, wenn auch kein schlechtes. Denn laut Herodot wieselte ein gewisser Pheidippides zwei Tage lang von Athen nach Sparta, um Hilfe zu holen. Erst ein paar hundert Jahre später haben Plutarch und Lukian den Herodot-Stoff gefladert und adaptiert.

Ein Zweitageslauf wäre niemals massentauglich geworden. Die 42,195 Kilometer sind sowieso erst ein Produkt der Olympischen Spiele 1908 in London. Sei's drum. So oder so ist ein Marathon stets ein Wettrennen. Weiter hinten im Feld mag es um ein fröhliches Miteinander gehen. Vorne vergleichen sich die Besten bei Bedingungen, die zufällig gerade herrschen und für alle gleich sind. Der für Samstag angesetzte und vom Konzern Ineos zwecks Imagegewinn finanzierte Event auf der Wiener Hauptallee ist hingegen fast ein Laborversuch. Vorneweg fährt ein Auto mit konstantem Speed, dahinter sorgen 41 Tempomacher, die in Grüppchen immer wieder ein- und aussteigen, für zusätzlichen Windschatten.

Jeder Marathon hat 42,195 Kilometer, doch 42,195 Kilometer müssen kein Marathon sein. Der Kenianer Eliud Kipchoge ist der beste Marathonläufer der Welt, ist Olympionike, dreimaliger Berlin- und viermaliger London-Sieger. Seit Berlin 2018 hält er den Weltrekord (2:01:39). Dieser Weltrekord kann in Wien gar nicht fallen. Bliebe Kipchoge unter zwei Stunden, wäre das natürlich eine ungeheuer beeindruckende Leistung. Aber vor allem eine ungeheuer erfolgreiche Marketingaktion. Kurz: ein Gschichtl. (Fritz Neumann, 9.10.2019)