Wien – Diesen Mittwoch starteten an den Wiener Schulen die "Tage der offenen Tür" – und es riecht bereits nach Kulturkampf. Die Wiener Gratiszeitung Heute veröffentlicht einen Artikel mit dem Titel "Wo mehr Schüler Türkisch als Deutsch sprechen" und beruft sich auf den kürzlich erschienenen "Integrationsbericht" des Außenministeriums.

Der stellt tatsächlich fest: "Aus integrationspolitischer Sicht ist die Umgangssprache ein wesentlicher Indikator für den schulischen Bereich. Dabei fällt auf, dass im Vergleich zum EU- beziehungsweise OECD-Schnitt der Anteil der SchülerInnen, die zu Hause eine andere Sprache sprechen als die Unterrichtssprache, "überproportional hoch ist".

Versäumte Assimilation

Laut Integrationsbericht hinkt Österreich bei der Assimilation im Sprachgebrauch im Vergleich zu EU und OECD nach. Während die zweite Generation an Migranten in EU und OECD nur noch zu 40 Prozent eine andere Umgangssprache als die Unterrichtssprache hat, verringert sich bei uns der Anteil jener Migranten, die zu Hause in der Muttersprache sprechen, nur ganz leicht von 77 auf 73 Prozent.

Ist da jemand noch nicht wirklich in Österreich angekommen? Ist das ein Versagen der offiziellen Integrationspolitik oder eines von Migranten, die sich nicht integrieren wollen/können? Oder beides?

Kinder können besser deutsch als Statistik aussagt

Die Verantwortliche für den Integrationsbericht und Vorsitzende des Expertenbeirats, Professorin Katharina Pabel von der Johannes-Kepler-Uni Linz, ist die Erste, die betont, dass, wenn zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, dies noch lange nicht heißt, dass die Kinder nicht Deutsch können.

Dennoch wird das Thema "In den Schulklassen sitzen nur Ausländerkinder, die nicht Deutsch können und unsere Kinder runterziehen" den kommenden Wiener Wahlkampf bestimmen. Dazu muss man nur in Internetforen stöbern beziehungsweise die Äußerungen der FPÖ und des türkisen Wiener Spitzenkandidaten Gernot Blümel verfolgen.

Problem vor allem in Wiener Pflichtschulen

Wie sieht es tatsächlich aus? Man muss unterscheiden zwischen Schülern mit ausländischer Staatsbürgerschaft und solchen mit nichtdeutscher Umgangssprache. Beide Kategorien sind in Wien besonders in Volksschulen, Hauptschulen, Neuen Mittelschulen, Sonderschulen und Polytechnischen Schulen stark vertreten (siehe Grafik).

Der Thinktank Agenda Austria hat sogar (allerdings für 2016) die nichtdeutschen Umgangssprachler nach den Bezirken aufgeschlüsselt.

Türkisch in Favoriten

Es überrascht wenig, dass etwa in den Favoritener Volksschulen zu 26 Prozent Türkisch die Umgangssprache ist.

Im Büro des zuständigen Wiener Stadtrats Jürgen Czernohorszky entgegnet man: "Wichtig ist festzuhalten, dass Statistiken zur Umgangssprache nichts über die tatsächlichen Deutschkenntnisse der Schülerinnen und Schüler aussagen. Die Bildungsstandards zeigen, dass der soziale Hintergrund der Schülerinnen und Schüler für den Bildungserfolg wesentlich wichtiger ist als die Erstsprache. Rund 40 Prozent der Volksschulkinder mit anderen Erstsprachen als Deutsch erreichen problemlos die Bildungsstandards beim Lesen oder übertreffen sie sogar. Ein weiteres Drittel erreicht die Standards teilweise. Die verbleibenden 30 Prozent haben Probleme beim Erreichen der Bildungsstandards, so wie zehn Prozent der Volksschulkinder mit Deutsch als Erstsprache."

Das ändert allerdings nichts an der statistischen Aussage, dass die Migranten in Österreich sozusagen im außerschulischen Leben häufiger in der Muttersprache verharren als anderswo, und zwar nicht nur Flüchtlinge von 2015/16, sondern auch "Gastarbeiter"-Kinder in dritter Generation.

Generalisierungen liegen daneben

Woran liegt's? Hier kommt man in den Bereich der Spekulation. Der ÖVP-nahe Bildungsexperte Andreas Salcher schreibt in seinem Buch Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde: "Generalisierungen wie 'Schüler mit Migrationshintergrund' oder 'Schüler aus islamischen Ländern' treffen nicht präzise genug den Kern des Problems." Es gehe um "bildungsferne, teilweise sogar bildungsfeindliche Schichten", auch solche aus Österreich. Salcher verweist darauf, dass das österreichische Schulsystem, das stark auf die Mitarbeit der Eltern aufbaut, für viele einfach nicht geeignet sei. Und dass zu wenig Unterricht stattfindet: "Solange wir an Halbtagsschulen und fast 14 Wochen Ferien festhalten, wird sich nichts ändern."

Jahrzehntelange Versäumnisse

Vorsichtiger, aber im Grunde unmissverständlich fokussiert auch die Verantwortliche für den Integrationsbericht, Katharina Pabel, auf die Rolle der Politik: "Wahrscheinlich haben wir viel zu spät mit der Integration angefangen. Das Thema ist spät auf die Tagesordnung gekommen. Und da geht es nicht nur um die Flüchtlinge von 2015/16, sondern gerade auch um die Migranten zweiten und dritten Generation."

Ihr Fazit: Es brauche mehr Ressourcen. "Jeder Euro, der in die Schulen, aber auch in die Arbeit mit den Eltern investiert wird, ist gut investiert." (Hans Rauscher, 9.10.2019)