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Auf den ersten Blick scheint alles so wie jedes Jahr. Studierende und Lehrende gehen ein und aus, reden über neue Kurse und anstehende Forschungsprojekte. Doch ein neues Gesprächsthema ist an der Central European University (CEU) dazugekommen: der Umzug nach Wien. Es ist das letzte Mal, dass alle Studierenden nach der Sommerpause zurück an ihren Campus im Zentrum von Budapest kommen. In den kommenden Monaten werden die meisten von ihnen nach Wien übersiedeln. Ein neues Gesetz hat den Verbleib in der ungarischen Hauptstadt unmöglich gemacht.

Eine der Studierenden ist Dragana Kokora. Die 26-Jährige sitzt in der Cafeteria des neu renovierten Gebäudes der CEU. Das Gebäude wurde erst 2016 eröffnet – kurz bevor die Uni zum Feindbild der ungarischen Regierung wurde. Doch schon vor einiger Zeit ernannte Ungarns Premierminister Viktor Orbán den US-Börsenmilliardär und CEU-Gründer George Soros zum Feind, und machte ihn etwa für die Flüchtlingskrise oder Migrationsprobleme verantwortlich.

Seit Jahren fährt die ungarische Regierung Kampagnen gegen Soros. Zuletzt präsentierte sie Anfang 2019 ein Plakat, auf dem Ex-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Soros neben dem Spruch "Auch Sie haben ein Recht zu wissen, was Brüssel vorhat" zu sehen waren. Darunter werden Juncker und Soros bezichtigt, die illegale Migration fördern zu wollen. Und auch die CEU wurde zum unliebsamen Gast in Budapest.

Zum letzten Mal starten die Studierenden ihr Semester am Campus in Budapest.
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"Der Staat sollte sich nicht in die Wissenschaft einmischen dürfen", sagt Kokora. Sie studiert Gender-Studies – ein Fach, das seit dem Vorjahr in Ungarn nicht mehr gelehrt werden darf. Doch der Studiengang ist in den USA akkreditiert, weshalb ihn die Uni weiter anbieten kann. Für Kokora spielte das keine Rolle bei der Entscheidung, vor einem Jahr nach Budapest zu ziehen, sagt sie. Vielmehr war es der gute Ruf der Uni sowie das Studienangebot. Kokora ist Roma aus Serbien und will sich auf Menschenrechte und Gender mit Fokus auf Roma-Gemeinschaften spezialisieren. Die CEU sei der perfekte Ort dafür, findet die Studentin.

650 neue Studierende

Die Unsicherheit habe die Studierenden nicht abgeschreckt, findet auch Roko Kostan (23), der im Oktober seinen Master in Politikwissenschaft beginnt und aus Kroatien hergezogen ist. Rund 650 neue Studierende zählt die Universität heuer – damit ist die Zahl der Anfänger im Vergleich zu den Vorjahren nahezu gleich geblieben. Eine der größten Sorgen der Studierenden sei der Anstieg der Lebenshaltungskosten, sagt Vizerektor Liviu Matei. Deshalb habe man entschieden, die Stipendien, die alle Studierenden erhalten, um 50 Prozent zu erhöhen. Das alles sei klar kommuniziert worden, sie erhielten Unterstützung beim Umzug, sagt der Student Kostan. Er finde es spannend, ein Teil der Auseinandersetzung zwischen der Regierung Orbáns und den Unis zu sein. "Wir spüren an uns selbst, was der Aufstieg des Populismus bedeutet."

Das Gesetz mit dem Spitznamen Lex CEU, das letztlich zum Umzug führte, trat 2017 in Kraft. Es legt fest, dass eine ausländische Uni auch einen Campus in jenem Land haben muss, in dem sie akkreditiert ist. Und dass es ein Abkommen zwischen den Regierungen der beiden Länder geben muss – im Fall der CEU zwischen Ungarn und dem Bundesstaat New York. Daraufhin öffnete die Uni im Schnellverfahren einen US-Campus, doch laut der CEU weigerte sich Ungarn, ein Abkommen zu unterschreiben. Die Begründung: Das sei nur eine Phantom-Uni.

Bald ziehen die Studierenden der CEU nach Wien, vorerst in die Quellenstraße im zehnten Bezirk.
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Im Oktober 2017 trat die CEU dann an Wiens damaligen Bürgermeister Michael Häupl heran und vereinbarte, dass die Uni ins Otto-Wagner-Spital zieht. Da dort bis 2022 das Spital des Wiener Krankenanstaltenbunds angesiedelt ist, zieht die CEU einstweilen in die Quellenstraße im zehnten Bezirk.

Eingriffe in die Forschung

Neben dem Standort ändert sich für die CEU auch die Struktur: So muss eine Uni nach österreichischem Recht auch Bachelorkurse anbieten, bislang gab es an der CEU aber nur Master- und PhD-Programme. Ab 2020 wird daher rund ein Viertel der Plätze an Bachelorstudierende vergeben, so ist der Plan. "Gleichzeitig werden wir unseren Standort in Budapest behalten, genauso wie ein Forschungszentrum und einige kulturelle Aktivitäten", sagt er. Ein weiteres Forschungszentrum ist geplant "Die große Frage für uns ist dabei, wie sich das politische Umfeld in Ungarn künftig entwickelt", fügt er hinzu.

Die CEU ist nicht die Einzige, die die Veränderungen in Ungarn zu spüren bekommt. So wurde etwa das Forschungszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften mit rund 4000 Mitarbeitern dem Ministerium für Technologie und Innovation untergeordnet. Nun bangen die Wissenschafter, dass einige der Institute geschlossen werden.

Für CEU-Vizerektor Liviu ist klar: "Wir haben die Freiheit der Wissenschaft in den letzten 20 Jahren für selbstverständlich gehalten und sie nicht ausreichend verteidigt." Das gelte für ganz Europa. Politikstudent Roko Kostan sitzt in der Sonne neben dem neuen CEU-Gebäude im Stadtteil Pest. Seine Uni ist für ihn "zum Symbol für den Kampf für die akademische Freiheit geworden". Ein Kampf, der in Ungarn nicht mehr nur die CEU betrifft. (Alicia Prager, 10.10.2019)