Wiens Stadtrat Peter Hacker und Seniorenbund-Chefin Ingrid Korosec boten auf dem STANDARD-Wohnsymposium ein spannendes Gespräch.

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Über den Wohnbau für Senioren, Pflegeangebote und eine zentrale Informationsplattform diskutierten Ingrid Korosec, Wiener Landtagsabgeordnete (ÖVP), und Peter Hacker, Stadtrat für Soziales (SPÖ), moderiert von Eric Frey.

STANDARD: Die Stadt Wien ist stolz darauf, europäisches Vorbild im Bereich des Wohnbaus zu sein. Ist sie das auch beim Wohnen für ältere Menschen?

Hacker: Ich glaube schon, dass wir auf das System stolz sein können, das wir für die Senioren in dieser Stadt zur Verfügung stellen. Es gibt ganz viele Ebenen der Hilfe. Wir haben vor 20 Jahren das ganze System der sozialen Dienstleistungen neu organisiert und haben in Wien etwas eingeführt, worum uns ganz Österreich beneidet und weit darüber hinaus. Wir haben viele Gespräche darüber geführt, wie wir die Pflegelandschaft in Wien auf- und ausbauen. Einer der gemeinsamen Schlüsse war die Aufgabenstellung, die wir dann dem Fonds Soziales Wien mit auf die Reise gegeben haben. Der Kundenservice, wie er heute dasteht, ist ja nicht die Fortsetzung einer jahrelangen Geschichte, den gab es in dieser Form einfach vorher nicht.

Korosec: Wien ist sehr gut aufgestellt, auch wenn ich nicht sagen will, dass wir die Besten sind. Ja, wir haben viel verändert, das war auch notwendig. Aber wir müssen an die Zukunft denken, an 2030 oder 2040. Pflegeheime haben wir genug. Teilstationäre Formen halte ich für besonders wichtig. Da ist viel geschehen, aber wir brauchen mehr. Bei der mobilen Pflege ist auch Handlungsbedarf. Die Fachkräfte stehen enorm unter Druck.

Hacker: Ich finde, dass quer durch die gesamte Pflegefinanzierung viel passieren muss. Wir haben eine Finanzierung, die auf die 1980er-Jahre zurückgeht. Und die ÖVP strebt ein anderes Finanzierungsmodell an, das ich nicht vertreten kann. Dort wird sich in den nächsten Jahren etwas bewegen müssen, weil der Pflegefonds in den Finanzausgleichsverhandlungen für 2021 sein wird, bis dahin ist er begrenzt, und es gibt keine Sicherheit, ob er fortgesetzt wird. Die ÖVP hat ja schon im Wahlkampf einige Aussagen dazu getroffen. Sie setzt auf ein privatisiertes System, wie eine Art Versicherung. Die Finanzierung muss aus Steuermitteln erfolgen. Und wir brauchen einen Fokus auf qualitative Pflege. Ich bin mit der Pflegegelderhöhung nicht glücklich, weil ich es nicht für schlau halte, das Pflegegeld als zentrale Säule der Pflegefinanzierung zu haben. Als Add-on ja.

Korosec: Herr Stadtrat, mich wundert, dass Sie die Pflegegeldanpassung kritisieren. Wir haben das Pflegegeld seit 1993, und es ist seitdem nur dreimal angepasst worden. Solange es nichts Besseres gibt, bin ich froh, dass wir das haben.

Hacker: Wir haben den Bund ja in den letzten Finanzausgleichsverhandlungen dazu gezwungen, diese jahrelange Nichterhöhung des Pflegegeldes mit dem Pflegefonds zu kompensieren. Der gibt dem Fonds Soziales Wien die Möglichkeit, den Einrichtungen Tarifsteigerungen zu gewähren, auch wenn das Pflegegeld nicht steigt.

Korosec: Wo wir die Veränderungen ansetzen, ist ja für den Einzelnen egal. Hauptsache ist, er muss nicht mehr zahlen. Und es muss alles aus einer Hand kommen, sonst versickert zu viel Geld zwischen verschiedenen Strömen.

STANDARD: Braucht man neue Finanzierungsquellen für die Pflege?

Korosec: Für die nächsten zwei Jahre ist das ja mit 300 Millionen Euro schon festgelegt. Danach brauchen wir ein neues System.

Hacker: Ich würde zurückweisen, dass Geld versickert. Aber ich stimme zu, es ist unnötig kompliziert. Eines der Probleme ist, dass wir in Österreich fast drei Milliarden Euro für Pflegegeld ausgeben. Und im Pflegegeldgesetz des Bundes steht dann drin, das darf ausschließlich für Pflege- und Betreuungsleistungen verwendet werden. Die Verpflichtung betrifft aber den Empfänger des Pflegegelds. Aber das überprüft ja niemand. Und es steht auch drin, dass es nur als Zuschuss gemeint ist. Die ÖVP definiert Sozialleistungen ständig nur als Zuschuss. Ich bin der Meinung, dass Pflege und Betreuung eine Garantie sein muss, die der Staat seinen Bürgern gibt, dass er sie unterstützt.

STANDARD: Viele ältere Menschen leben in Wohnungen, die nicht mehr für sie geeignet sind. Selbst wenn sie übersiedeln wollen, ist es vielerorts zu teuer. Was könnte man tun, um diese Mobilität im Alter doch noch einmal zu erhöhen?

Korosec: Wir haben 220.000 Gemeindewohnungen, hier müssen wir Veränderungen vornehmen. Außerhalb Wiens ist es schwieriger. Hier muss eine gezielte Förderung für einen Umzug her, natürlich auf freiwilliger Basis.

Hacker: Erst wollt ihr im Gemeindebau die Probleme lösen, dann wollt ihr sie verscherbeln, da bin ich einfach nicht dabei. Reden wir über ganz Wien. Also nicht über 220.000, sondern eine halbe Millionen Wohnungen. Wir müssen im Mietrechtsgesetz die Möglichkeit schaffen, eventuelle Betreuungskosten in Betriebskosten abrechnen zu können. Oder wir schließen intelligente Vereinbarungen ab, so wie es die Gesiba macht. Außerdem sollten wir uns überlegen, eine zentrale Informationsstelle einzurichten, um all diese Modelle auf einen Blick zu haben. Das gilt nicht nur für behindertengerechte Einrichtungen, sondern eben auch für Pflege- und Betreuungsangebote.

STANDARD: Frau Korosec, was würden Sie sich von der nächsten Bundesregierung und der Stadt Wien wünschen, damit sich die Situation für die Senioren verbessert?

Korosec: Die ganzen Modelle, die wir heute gesehen haben, Betreutes Wohnen, aber auch die Mehrgenerationen-Häuser, sind wichtig. Das brauchen wir für die Zukunft. Die Vielfalt, in der jeder sich herausnehmen kann, was er braucht, halte ich für unabdingbar. Ältere Menschen sind ja keine amorphe Masse, sondern ein bunter Haufen. (PROTOKOLL: Thorben Pollerhof, 10.10.2019)