Vizepräsident Christoph Grabenwarter, der seit dem Ausscheiden von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein die Geschäfte des Verfassungsgerichtshofs intermistisch leitet, führte den Vorsitz der mündlichen Verhandlung zur Sozialversicherungsreform.

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Wien – Der zweite Verhandlungstag drückte auf einige wunde Stellen: Bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Frage, ob das türkis-blaue Monsterprojekt Sozialversicherungsreform überhaupt rechtskonform ist, ging es mitunter heiß her.

Im Zentrum stand die Frage, ob die Arbeitnehmer in den Leitungsgremien entmachtet werden dürfen. Die alte Regierung hatte in ihrem Gesetzespaket vorgesehen, dass sowohl Dienstgeber als auch Dienstnehmer gleich viele Mandate erhalten. Bisher waren in den Gebiets- und Betriebskrankenkassen die Arbeitnehmer mit vier Fünfteln klar in der Mehrheit. Arbeitnehmervertreter sehen die Entmachtung als Affront, weil Dienstgeber nur 28 Prozent der Beiträge beisteuern.

Wer welche Sorge hat

Zudem stand am zweiten Verhandlungstag die Frage im Zentrum, ob ein Dienstgeber tatsächlich ein gleichwertiges Interesse an der Gesundheit seines Mitarbeiters hat wie dieser Dienstnehmer selbst. Das ist deshalb entscheidend, weil die Verfassung verlangt, dass ein Selbstverwaltungskörper – ein solcher ist die Sozialversicherung auch im neuen System nach wie vor – das geeinte Interesse seiner Mitglieder verfolgt. Dass beide Seiten tatsächlich im Gleichklang schwingen, wie von der Bundesregierung behauptet, wird von den Arbeitnehmervertretern, aber auch von den Gebietskrankenkassen heftig bestritten. Im Gegenteil: Es liege in der Natur der Sache, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenläufige Interessen verfolgen.

Massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Reform gibt es auch bei einem weiteren Punkt, der am Mittwoch von den Verfassungsrichtern diskutiert wurde: der Frage, ob demokratisch entsandte Mandatare in der neuen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) bestimmte Eignungstests bestehen müssen, um ihr Amt antreten zu dürfen. Laut den Anfechtern des Gesetzes widerspricht das dem demokratischen Prinzip: Es könne nicht sein, dass de facto von oben herab bestimmt wird, wer befugt ist, die Basis zu vertreten. Die Verfassungsrichter zogen einen Vergleich zu anderen demokratischen Vertretern, beispielsweise den Ministern oder Gemeinderäten, die ebenfalls keine Knock-out-Prüfungen absolvieren müssen, um ihr Amt antreten zu dürfen.

Entscheidung im Dezember

Nach zwei Tagen öffentlicher Verhandlung werden die Verfassungsrichter nichtöffentlich weiterberaten. Eine Entscheidung wird laut VfGH "nicht zeitnah" fallen, soll jedoch noch vor Jahresende vorliegen. Das Reformpaket könnte also zumindest in Teilen gekippt werden, bevor die Kassenfusion am 1. Jänner 2020 schlagend wird. (sterk, 9.10.2019)