Es war eine Frage, auf die Politiker üblicherweise wie aus der Pistole geschossen antworten. Was denn das Alleinstellungsmerkmal der SPÖ sei, wollte die Interviewerin der ORF-Sendung Report wissen. Jeder Stehsatz aus dem Phrasenbaukasten wäre besser gewesen als das, was Pamela Rendi-Wagner erwiderte: "Daran werden wir arbeiten."

Im Ernst jetzt? Einer roten Parteichefin fällt auf Anhieb kein Grund ein, warum es die SPÖ überhaupt braucht? Mit viel gutem Willen könnte man diese Antwort entwaffnend ehrlich nennen, zumal sich die Sozialdemokraten tatsächlich gerade auf Sinnsuche begeben haben – gewirkt hat der Auftritt aber vor allem unbeholfen und instinktlos. Rendi-Wagner macht es ihren Genossen zunehmend schwer, keine Personaldebatte zu führen.

Dabei hat die angeschlagene Vorsitzende in einigem recht. Natürlich greift ein Köpferollen an der Spitze zu kurz, natürlich muss sich die Partei als Ganzes ändern. Der SPÖ fehlt, wie Rendi-Wagner sagt, nicht nur die große Klammer, die aus vielen Einzelforderungen eine überzeugende Erzählung macht. Überfällig ist vor allem die vielbeschworene "Öffnung" der Partei, um abseits der klassischen Kaderschmieden neue Mitstreiter mit neuen Ideen zu gewinnen.

Unroutinierte Frontfrau

Doch gerade auf diesem Feld hat Rendi-Wagner viel Glaubwürdigkeit verspielt. Zum Antritt übernahm sie von Vorgänger Christian Kern eine fertige Parteireform, die mehr Mitbestimmung versprach – ein Köder für junge Aktivisten, die das hierarchische Parteileben alten Stils abschreckt. Doch trotz breiten Zuspruchs an der Basis ließ sich die unroutinierte Frontfrau, die nach Kerns Abgang ins kalte Wasser gestoßen wurde, die Innovationen großteils abräumen, vor allem von der Wiener Parteispitze. Mit etwas Gefühl für die Stimmungslage hätte sie wissen müssen, dass der Rückzieher viel Motivation zerstörte und Frustration schuf.

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Das gilt noch mehr für den jüngsten Fehler. Der von der Chefin als Bundesgeschäftsführer durchgeboxte Christian Deutsch erntet ja nicht nur deshalb Kritik, weil er als Mitverantwortlicher für die Wahlniederlage mit einem Aufstieg belohnt wurde. Als Mann aus dem Kreis um Ex-Kanzler Werner Faymann steht Deutsch für eine Zeit, als (selbst-)kritische Debatten in der Partei als Zumutung galten. Wieder ließ Rendi-Wagner Instinkt und G'spür vermissen: Es brauchte beileibe nicht viel Insiderwissen, um auf den Gedanken zu kommen, dass Deutsch' Kür viele vor den Kopf stößt.

Die nachträgliche Begründung wird die Wogen kaum glätten. Es könne nicht sein, dass gerade die erste Frau an der Spitze das Vorrecht verliere, sich ihren Geschäftsführer selbst auszusuchen, sagte Rendi-Wagner im Report – als ob die Kritik an Deutsch irgendetwas mit Antifeminismus zu tun hätte.

Allerdings gibt es in der Causa schon auch eine kollektive Verantwortung. Vorrecht der Chefin hin oder her: Die Vorderen der Partei hätten in der entscheidenden Sitzung die Notbremse ziehen müssen, zumal eine Lösung ohne Gesichtsverlust für Rendi-Wagner möglich war. Angeboten hätte sich, Deutsch nur zum temporären Geschäftsführer zu ernennen, der erst die Scherben des Wahltags beseitigen soll. Danach wäre Zeit gewesen, einen passenderen Kandidaten zu finden.

So aber deutet viel darauf hin, dass jener Mann, der Stütze der Chefin sein soll, das Gegenteil bewirkt: Die Ernennung von Deutsch hat die Ablösedebatte in Schwung gebracht. (Gerald John, 10.10.2019)