Erst am 8. Oktober hatte Atari eine E-Mail an seine Crowdfunding-Unterstützer geschickt und stolz verkündet, dass die Vorproduktion der Atari VCS, einer Konsole für Retrogames, Indiespiele und Streaming, begonnen hat. Ende September hatte man zudem die Partnerschaft mit dem Dienst Antstream bekannt gegeben, über dem sich primär Games-Klassiker wie Double Dragon, Metal Slug oder Missile Command streamen lassen sollen.

Nachrichten, die vermitteln, dass das Projekt trotz seiner bisher zwei Verschiebungen auf einem guten Weg ist. Eigentlich hätte die Konsole bereits im Sommer erscheinen sollen, zuletzt wurde der März 2020 als Releasedatum angekündigt. Doch möglicherweise steht die VCS vor dem Aus. System Architect Rob Wyatt hat sich zurückgezogen und erhebt gegenüber The Register schwere Anschuldigungen an Atari.

Atari VCS

Ausbleibende Zahlungen

"Atari hat seit über sechs Monaten keine Rechnungen bezahlt", sagt Wyatt, dessen Agentur Tin Giant mit der Entwicklung der Hardware der Konsole beauftragt war. Inwieweit Atari nun das Gerät selbst oder mit neuen Partnern zu Ende entwickeln kann, ist unklar. Seit kurzem gibt es erst einen Prototypen des Mainboards. Tin Giant war gerade dabei, Fehler daran auszumerzen, als man sich mangels Zahlungen dazu entschloss, die Arbeit auf Eis zu legen.

Dass sein Vorgehen in Zusammenhang mit der Entwicklung eines anderen Spielegeräts mit seiner zweiten Firma, The Last Gameboard, steht, bestreitet er. Sein anderes Unternehmen habe es bereits gegeben, bevor ihn Atari beauftragt habe.

Rote Zahlen

Es ist nicht der einzige Konflikt, in den Atari involviert ist. Feargal Mac Conuladh, dessen Idee der VCS ursprünglich gewesen sei, hatte Atari geklagt, weil ihm ein versprochener Anteil an den Crowdfunding-Einnahmen von über 3 Millionen Dollar nie bezahlt habe. Es kam schließlich zu einer außergerichtlichen Einigung und aus Ataris letztem Finanzbericht geht hervor, dass Mc Conuladh im Rahmen dieser Abmachung einen Großteil der reklamierten Summe von 112.000 Dollar erhalten hat.

Der Verlust des Hardwareentwicklers könnte für die VCS zumindest eine Verschiebung, womöglich aber auch das Aus bedeuten. Finanziell soll es Atari ebenfalls nicht gut laufen, in den vergangenen zwei Jahren schrieb das Unternehmen mit Sitz in Frankreich jeweils 2,75 Millionen Dollar Verlust.

Atari VCS

Fehlentscheidungen

Auch andere Quellen gaben gegenüber The Register nichts Gutes zum besten über das Projekt. So habe Atari etwa kein Geld für die Entwicklung einer eigenen, für das System angepassten Linux-Distribution genehmigt. Dementsprechend würde sie, sofern die Hardware gut ist, letztlich nicht mehr als ein Multimedia-PC mit einer Standard-Distribution werden. Und weil folglich auch keine Kopierschutzmechanismen und ein eigener Store umgesetzt werden, soll sich auch das Interesse von Drittentwicklern stark in Grenzen halten. Dazu kommt eine kleine Nutzerbasis, die weniger als 15.000 Vorbestellern liegen soll.

Weiters habe Atari bislang auch keine Deals mit Unity und Epic Games hinsichtlich deren großen Games-Engines abgeschlossen. Und der versprochen Zugriff auf Videostreaming über Netflix und Co. soll nicht über native Apps funktionieren, sondern einfach nur über eine angepasste Version des Chromium-Browsers. Der einzige Lichtblick ist die modernisierte Version des klassischen Joysticks sein, die sehr gelungen sein soll.

Atari: Infos sind "falsch oder veraltet"

Atari hatte The Register ursprünglich eine Stellungnahme versprochen, sich dann aber fünf Tage lang nicht gemeldet. Erst nach Erscheinen des Berichts ließ man über die eigene PR-Agentur ausrichten, dass die dem Text zugrunde liegenden Informationen "falsch oder veraltet" seien. Zudem seien "manche Aspekte" des Projekts widerrechtlich, weil durch den Bruch von Verschwiegenheitserklärungen, an das Medium gelangt.

Foto: Atari

Déjà-vu?

Für Atari könnte ein Scheitern der VCS der dritte Crash in der Geschichte der Marke einleiten. Lange eine dominante Größe im Bereich der Heimcomputer und Videogames verlor man in den frühen 1990ern endgültig den Anschluss an die zunehmend auf x86-Rechner, DOS und Windows wechselnde Branche und konnte auch mit der Heimkonsole Jaguar bei der Kundschaft nicht punkten. 1996 verschwand der Name nach einer Fusion mit der JTS Corporation.

Die Rechte am Namen landeten nach einer Übernahme beim Hasbro-Konzern und, nachdem dieser seine Videogames-Abteilung verkaufte, schließlich beim französischen Publisher Infogrames, der sich 2003 in Atari umbenannte. Ende des Jahrzehnts schlitterte man zunehmend in Probleme, schloss die Europa-Abteilung und meldete 2013 in den USA Insolvenz an. Auch durch den Verkauf großer Portfolioteile gelang die Erhaltung der Firma, die jahrelang hauptsächlich ihre Lizenzen vermarktete und eine Browsergame-Plattform betrieb. Mit der Ankündigung der Atari VCS, ursprünglich "Ataribox" genannt, wollte man zurück zu den Wurzeln des Namens gehen. (gpi, 10.10.2019)