Aus dem KZ Mauthausen befreite Häftlinge wurden in der "Aula" als "Landplage" diffamiert.

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Straßburg/Wien – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich wegen der Abweisung einer Beschwerde in der "Landplage"-Causa verurteilt. Am Anfang der Causa stand ein Artikel aus dem Jahre 2015 in der rechtsextremen Zeitschrift "Aula", in dem KZ-Insassen diffamiert worden waren.

In dem Text hatte der "Aula"-Autor die im Jahr 1945 befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet, die plündernd durchs Land gezogen seien.

Einstimmige Verurteilung

Der Fall sorgte bereits im Dezember 2015 für Empörung, weil die Staatsanwaltschaft Graz das strafrechtliche Verfahren gegen den Autor eingestellt hatte. Die zuständige Staatsanwältin begründete das damit, dass es "nachvollziehbar" sei, dass die 1945 befreiten Häftlinge aus dem KZ Mauthausen eine "Belästigung" für die Bevölkerung darstellten.

In der Februar-Ausgabe 2016 der "Aula" berichtete derselbe Autor über die Einstellung des Strafverfahrens und wiederholte seine Diffamierungen aus dem Jahre 2015 wortwörtlich. Daraufhin brachte der heute 96-jährige Holocaust-Überlebende Aba Lewit gemeinsam mit neun anderen Überlebenden, die alle in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren, wegen dieses Artikels einen Antrag nach Mediengesetz gegen die "Aula" und ihren Autor ein. Dem rechtsextremen Blatt wurden üble Nachrede und Beleidigung vorgeworfen.

Im medienrechtlichen Verfahren entschied das Oberlandesgericht Graz jedoch wieder gegen die Interessen der überlebenden KZ-Häftlinge. Lewit zog dagegen als alleiniger Beschwerdeführer mit Unterstützung der Grünen vor den EGMR. Dort wurde Österreich am Donnerstag einstimmig verurteilt.

Konkret: Der EGMR hat in seinem Urteil eine Rechtsverletzung durch die Republik festgestellt, und zwar in Bezug auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem die Achtung des Privat- und Familienlebens normiert ist. Folglich haben österreichische Gerichte Lewit unzulässigerweise nicht vor den diffamierenden Behauptungen der "Aula" in der Februar-Ausgabe 2016 geschützt. Da die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, ist Österreich nun verpflichtet, erneut in der Sache zu entscheiden und bei der Korrektur der Rechtsprechung die Vorgaben des EGMR zu berücksichtigen.

Anwältin will Erneuerungsantrag einbringen

Zuvor muss allerdings Lewits Anwältin Maria Windhager – sie vertritt in vielen Fällen auch den STANDARD – noch einen sogenannten Erneuerungsantrag einbringen, damit sich die Gerichte hierzulande wieder mit der Causa befassen – eine reine Formsache, Windhager will den Antrag in Kürze stellen. Danach ist das Oberlandesgericht Graz am Zug, um das Verfahren gegen die Medieninhaberin der "Aula" wiederaufzunehmen.

Der EGMR hat nicht nur einer Wiederaufnahme des Verfahrens den Boden bereitet, sondern Österreich überdies zur Zahlung von 5.000 Euro an immateriellem Schadenersatz an Lewit verurteilt. Zudem muss die Republik dem Beschwerdeführer Prozesskostenersatz in Höhe von 6.832,85 leisten, dazu kommen noch Erstattungen für Steuern und Zinsen.

Windhager zeigt sich in einer ersten Stellungnahme "unendlich erleichtert, dass der EGMR sehr rasch ein Urteil gefällt und Österreich in dieser wirklich unrühmlichen Angelegenheit einstimmig verurteilt hat".

Das Verfahren vor dem EGMR wäre "ohne den beherzten Beschwerdeführer Aba Lewit, der stellvertretend für die anderen im Medienverfahren Betroffenen die Beschwerde auf sich genommen hat, und die organisatorische und finanzielle Unterstützung der Grünen nicht möglich gewesen", erklärt die Anwältin.

Justizminister Jabloner: Urteil des EGMR wichtiges Signal

In einer ersten Stellungnahme würdigte Justizminister Clemens Jabloner das Urteil. Es handle sich um "ein wichtiges Signal für die Justiz, sich der Verantwortung für die Gräueltaten des NS-Regimes bewusst zu werden und jene Menschen zu achten und zu schützen, die Leid und Unrecht durch dieses menschenverachtende System erlitten haben", erklärte Jabloner. Das Justizministerium werde von sich aus – unabhängig vom Erneuerungsantrag von Lewit-Anwältin Windhager – bei der Generalprokuratur eine Erneuerung des Verfahrens anregen.

Windhager selbst begrüßt Jabloners Statement und die Unterstützung des Justizministeriums, weist im STANDARD-Gespräch allerdings darauf hin, dass sie vor dem Gang zum EGMR ohnehin eine Beschwerde bei der Generalprokuratur angeregt habe, der man dort allerdings nicht nachgekommen sei: "Das war besonders unrühmlich, weil damit eine Befassung des Obersten Gerichtshofs verunmöglicht wurde, was eine Verurteilung in Straßburg hätte verhindern können." Erst nach Untätigbleiben der Generalprokuratur sei die Beschwerde beim EGMR eingebracht worden, die nun zur Verurteilung Österreichs geführt hat. (red, APA, 10.10.2019)