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Autoritäre Tendenzen am internationalen Staatsparkett führen dazu, dass Pressefreiheit immer stärker unter Beschuss gerät. Ihre Erfahrungen schilderten Mittwochabend Medienarbeiter im Wiener Fotomuseum Westlicht bei einer Diskussion in Kooperation mit dem STANDARD.

"Fast 10.000 Morddrohungen" hat Hasnain Kazim nach einem kritischen Bericht über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan bekommen, erzählt der "Spiegel"-Journalist. Kurz danach musste er mit der gesamten Familie vorübergehend untertauchen. 2016 wurde seine Akkreditierung als Journalist nicht verlängert. Als Kazim erfuhr, dass eine Anklage gegen ihn wegen Terrorunterstützung und -propaganda in Vorbereitung war, konnte er das Land gerade noch rechtzeitig verlassen.

Turbulenzen in Wien

"Die Hemmschwelle, Menschen ins Gefängnis zu werfen, sinkt", sagt Kazim für die Türkei. Jüngste Freilassungen von Medienarbeitern, etwa des Österreichers Max Zirngast, will er nicht als leise Entspannung werten. Es sei "völlig unberechenbar, wann die nächsten Journalisten wieder eingesperrt werden".

Kazim berichtet jetzt für den "Spiegel" in Wien, wo definitiv keine Lebensgefahr für Journalisten besteht. In Wien sei es aber "auf andere Art und Weise turbulent".

Von Strategien, wie "unliebsame Presseberichte verhindert werden", berichtet die STANDARD-Redakteurin und Chefin vom Dienst, Irene Brickner – zum Beispiel auf Anfragen nicht zu reagieren. Brickner kennt das von Recherchen über Asylthemen: "Dann ist es aber keine gute Geschichte mehr, weil dir permanent vorgeworfen werden kann, dass sie nur die eine Seite zeigt."

Gefahr der Schere im Kopf

"Ich kriege sehr oft auf meine Fragen keine Antwort", bestätigt STANDARD-Aufdeckerin Renate Graber. Umgekehrt habe sie es mit Unternehmen zu tun, "da wissen wir, was immer wir schreiben, wird sicher geklagt". Die Gefahr der Schere im Kopf sieht angesichts dessen "Spiegel"-Korrespondent Kazim, der speziell in Österreich ebenfalls seine Erfahrungen macht: "Herr Benko ist sehr klagefreundlich." Immobilienmilliardär René Benko beteiligte sich Ende 2018 mit knapp unter 50 Prozent an jener Beteiligungsholding der Funke-Gruppe, die 50 Prozent an der "Krone" und 49,44 Prozent am "Kurier" hält. Benko klagte einen Bericht des "Spiegel" auf Unterlassung. Das Nachrichtenmagazin veröffentlichte die Antwort darauf im eigenen Onlinemedium. "Er redet nicht mehr mit uns", sagt Kazim.

Noch kritischer sieht Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, die Message-Control der früheren türkis-blauen Regierung: "Sebastian Kurz hat rund 100 Leute, die seine Propagandamaschine betrieben haben. Alles wird von oben organisiert. Für die Recherche bleibt da wenig übrig." Im Ranking von Reporter ohne Grenzen stürzte Österreich im Jahr 2019 von Platz elf auf 16 ab. Im Publikum meldete sich dazu der ehemalige Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal zu Wort: Es habe keine Message-Control gegeben.

"Wir leben von PR"

Heinz Stephan Tesarek, Fotojournalist und Dokumentarfotograf mit Erfahrungen in Kriegsgebieten, sieht Einschränkungen der Pressefreiheit aufgrund der ökonomischen Bedingungen von Medienunternehmen: Es fehlen die Aufträge. "Welches Medium kann es sich leisten, einen Fotografen ins Ausland zu schicken?", fragt Tesarek. Das wirke sich auf die Qualität aus: "Die Hefte sind noch immer gefüllt mit Bildern, aber wenn man wirklich analysiert, wie hoch der Informationsgehalt ist und wie aufwendig die Recherche ist, dann wird man draufkommen, dass alles ausgedünnt ist."

Es werde "nichts mehr produziert, wir leben von PR", sagt Tesarek. Seine "weiteste Reise" habe ihn im vergangenen Jahr "in den zehnten Bezirk in ein Pornokino geführt", erzählt er. Für seine Aufnahme "Der kleine Tod des Cinéma érotique" aus dem Saal eines Erotikkinos wurde Tesarek mit dem APA-Objektiv-Preis ausgezeichnet. Angesichts der "aussichtslosen Lage" habe er sein eigenes Magazin zwischenzeit.com gegründet, erzählt Tesarek: "Die Lage ist so frustrierend, das kann man sich gar nicht vorstellen."

Die World-Press-Photo-Ausstellung mit den besten Pressefotografien des Jahres ist im Westlicht noch bis 20. Oktober geöffnet. Ab 29. Oktober sind Bilder der britischen Fotografin Alison Jackson zu sehen. (Doris Priesching, 10.10.2019)