"Nie wieder – so klar, so einfach. Und doch versagen Politik, Gesellschaft, Medien in Deutschland so kolossal dabei, dieses Bekenntnis zu leben und zu verteidigen", kommentiert die "Bild".

Foto: APA/AFP/AXEL SCHMIDT

"Haaretz" (Tel Aviv): Globale Ideologie

"Die Schüsse auf die Synagoge in Ostdeutschland waren nicht nur ein antisemitischer Angriff. Es war auch ein Angriff auf Einwanderung (...). Das Hauptziel des Angreifers in Halle waren Juden in einer Synagoge zu Jom Kippur. (...) Und wie wir am Mittwoch in Halle gesehen haben, rettet die erhöhte Sicherheit an den Synagogen Leben. Als der Angreifer mit den Waffen, die er zur Hand hatte, die gesicherte Tür der Synagoge nicht durchbrechen konnte, musste er weglaufen und andere töten, nicht Mitglieder der jüdischen Gemeinde. (...)

Es handelt sich hierbei nicht um organisierte oder zum Teil organisierte Netzwerke. Sondern um eine Ideologie. (...) Die Erklärung des Angreifers in Halle ist fast identisch mit der des Angreifers, der vor fast einem Jahr in einer Synagoge in Pittsburgh elf Juden ermordete oder des Täters von Christchurch, Neuseeland, der bei einem Massaker in einer Moschee im März 51 Muslime beim Gebet tötete. Es handelt sich um eine globale, rassistische White-Supremacy-Ideologie, die liberale Offenheit gegenüber Einwanderern, gegenüber Frauen- und Schwulenrechten sowie Toleranz gegenüber Minderheiten als Bedrohung für die weiße Rasse. (...)

Um einen neonazistischen Angriff durchzuführen, ist keine Terrorinfrastruktur erforderlich. Die Täter sind einheimische weiße Männer voller Feindseligkeit und Frustration, angestachelt nicht nur von rechtsextremen Internetseiten und Literatur, sondern auch von angeblichen Mainstream-Politikern, allen voran (US-)Präsident Donald Trump."

"La Repubblica" (Rom): Feuer der Intoleranz

"Das Attentat auf die Synagoge von Halle bedeutet ein Signal, das nicht länger ignoriert werden kann: Das Feuer der Intoleranz ist zurückgekehrt, um in unseren Ländern mit einer nie zuvor gesehenen Gewalt zu brennen. Das von Halle ist kein Einzelfall. Und man kann es nicht auf eine Episode des Wahnsinns reduzieren. Wir stehen stattdessen vor der schwersten Bedrohung unserer Demokratien: Im Gegensatz zum islamischen Terrorismus kommt sie nicht aus äußeren Welten. Sie ist die Frucht von etwas, das im Tiefen der europäischen Gesellschaft lebt und das rasch die Antikörper abtötet, die sich nach dem Blutbad des Zweiten Weltkriegs entwickelt haben."

"New York Times" (New York): Anstieg antisemitischer Angriffe

"In den vergangenen Wochen hat es in Deutschland, wo Antisemitismus ein besonders sensibles Erbe der NS-Zeit ist, eine Reihe kleinerer Angriffe auf Juden gegeben. Herr (Innenminister Horst) Seehofer hat in diesem Jahr den sprunghaften Anstieg antisemitischer Angriffe verurteilt. Sie reichen von Vandalismus bis hin zu Angriffen auf Menschen, die sichtbare Symbole ihres Glaubens trugen."

"Die Welt" (Berlin): Es reicht

"Etwa 100 Jüdinnen und Juden mussten in der Stadt an der Saale um ihr Leben bangen, weil sie miteinander beten wollten. Jüdische Einrichtungen werden seit langer Zeit in Deutschland schwer bewacht. Der Terrorangriff von Halle zeigt, wie bitter nötig das ist. Wir wissen noch nicht, welche genauen Motive die Täter zu diesem Amoklauf bewegt haben. Aber wir können eins und eins zusammenzählen. Das Ziel der Attacke war ein jüdisches Haus. Was sich in Halle abgespielt hat, war ein antisemitischer Terroranschlag. Das alles geschieht in Deutschland im Herbst 2019. Es reicht. Vor 30 Jahren haben 70.000 Leipziger ihre Angst überwunden und der Diktatur getrotzt. Die Angst wechselte die Seiten. Diesen Mut brauchen wir heute wieder. Das beste Deutschland, das wir je hatten, ist in großer Gefahr."

"Südwest-Presse" (Ulm): Die AfD bereitet den Boden

"Antisemitismus ist wieder hoffähig geworden, der Hass gegenüber Juden äußert sich immer offener und unverhohlener. Rassistische Brandstifter wie der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke bereiten dazu den Boden, in dessen Untergrund offensichtlich eine militärisch gut vorbereitete Szene gewachsen ist, die auch vor schwersten Anschlägen nicht mehr zurückschreckt. Der Mord an Walter Lübcke war ein erstes Fanal, Innenminister Seehofer kündigte vor vier Wochen einen verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus an. Die Toten von Halle klagen an: Handelt endlich, stoppt die brutalen Täter!"

"Leipziger Volkszeitung" (Leipzig): Militanz wächst

"In Halle betreibt die Identitäre Bewegung mitten in der Stadt ein Haus – jene Identitäre Bewegung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz im Sommer als eindeutig rechtsextrem eingestuft hat und die unter anderem Kontakte zu Teilen der AfD unterhält. In Sachsen-Anhalt – genauer: in Tröglitz – war es auch, wo im Frühjahr 2015 eine Flüchtlingsunterkunft brannte und der tapfere Bürgermeister Markus Nierth zurücktrat. Die Landesregierung hat die Gefahren von rechts später immer mal wieder unter dem Eindruck des Erstarkens der AfD relativiert – fatalerweise. Was für Halle gilt, gilt für das ganze Land. Die Militanz der rechtsextremistischen Szene wächst. Sie tritt immer unverhohlener auf und sickert teilweise sogar in die Sicherheitsbehörden ein."

"taz" (Berlin): Antisemitische Anfänge bekämpfen

"Es wäre aber allzu bequem, bei der Ursachenforschung nur auf Verfassungsschutz und Polizei zu zeigen. Ebenso wichtig ist es, schon die Anfänge judenfeindlichen Denkens zu bekämpfen, sei es in der Schule oder im Betrieb. Und dieses antisemitische Denken, das sei hier ausdrücklich erwähnt, ist auch keinesfalls nur auf Neonazis und Islamisten beschränkt – und schon gar nicht ist es ein spezielles Problem, das primär Ostdeutschland beträfe. Halle ist nicht überall. Doch es hätte eben auch überall geschehen können."

"Bild" (Berlin): Eine Schande für unser Land

"Nie wieder – so klar, so einfach. Und doch versagen Politik, Gesellschaft, Medien in Deutschland so kolossal dabei, dieses Bekenntnis zu leben und zu verteidigen. Der Terror von Halle mag die Tat eines einzelnen Neonazis sein. Aber viel zu oft hat sich dieser Mörder bestätigt fühlen dürfen. Bestätigt in der Annahme, dass sich niemand ihm wehrhaft in den Weg stellen wird. (...)

Verantwortlich für die Tat ist nur der Täter. Aber ermutigt wurde er von einer Gesellschaft, die das 'Nie wieder' nicht entschlossen verteidigt. Vor unserer Geschichte ist das eine niederschmetternde Botschaft. Der gestrige Tag ist eine Schande für unser Land." (APA, 10.10.2019)