Kim Gordon, Anti-Rockstar bei Sonic Youth, Street-Couture-Ikone, Malerin, Schauspielerin und mehr veröffentlicht heute ihr Solodebüt "No Home Record".

Foto: Natalia Mantini

Sonic Youth hatten sich selbst überlebt. Die wegbereitende New Yorker Band war in den 1980ern und frühen 1990ern an ihrem Zenit ein brillanter Störfaktor gewesen, ein vom Punk angestachelter Lärmerzeuger. Das ging so lange gut, bis die Strategie und ihre Ästhetik vom Mainstream absorbiert worden waren wie alles andere. Aus der Widerborstigkeit war eine leidlich bekannt klingende Komfortzone geworden, deren Bewohner mit ihren Veröffentlichungen nicht viel mehr taten, als den eigenen Ruf zu pflegen.

2011 war damit Schluss. Bassistin Kim Gordon reichte die Scheidung von Thurston Moore ein. Nach 30 Jahren Band und 27 Jahren Ehe war sie draufgekommen, dass er sie betrogen hatte. Eines der coolsten Paare der Popkultur war Geschichte, die Band ebenso.

Ihr persönliches Drama schrieb Gordon in ihrer 2015 erschienenen Biografie Girl In A Band nieder. Die Frau, die einst das New Yorker Downtown-Cool verkörpert hatte wie keine sonst, zog nach Los Angeles. Dort war sie aufgewachsen, bevor sie der Kunst wegen 1980 nach New York ging. Seit dem Ende von Sonic Youth malt sie wieder mehr und tauchte in ein paar Filmen wie Gus Van Sants Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot in Nebenrollen auf.

Slogans auf Leinwand

Mit 66 veröffentlicht Kim Gordon heute ihr erstes Soloalbum; es heißt No Home Record. Die meist distanziert wirkende Coole verstand sich immer als Künstlerin, die zufällig bei der Musik gelandet war. So wie sie auf ihren Bildern Slogans aus dem Alltag auf die Leinwand überträgt, transferiert sie derlei Images nun zurück in ihre Musik – und die ist angriffiger als die letzten zehn Sonic-Youth-Alben zusammen.

Zwar weist der Song Air BnB deutliche Sonic-Youth-Muster auf; das gesteht man ihr als Miterfinderin dieses Sounds gerne zu. Ansonsten hat sie ihre alte Band so weit hinter sich gelassen wie ihren Ex.

Kurzer Abstecher in die eigene Vergangenheit: Air BnB.
Matador Records

In anlässlich ihres Albums publizierten Porträts packt Gordon ihre Besucher gerne ins Auto und fährt mit ihnen durch L. A. So als würde die Stadt den State of Mind erklären, aus dem ihre Platte entstanden ist. Tatsächlich klingt No Home Record wie aus solchen Fahrten gespeist. Songs wie Don’t Play It sammeln akustische Fragmente ein. Man hört elektronische Beats aus vorbeifahrenden Autos, irgendwo summt eine defekte Reklametafel, Wortfetzen bleiben wie tote Insekten an der Windschutzscheibe hängen. Daraus montiert Gordon ihre Songs.

"Fucked up Poetry"

Immer wieder verfällt sie dabei ins Sloganhafte. Sie verwendet Reizwörter des Alltags, Textnachrichten, Headlines aus den Medien, Schlaues, Absurdes. Zum Irrsinn des modernen Lebens positioniert sie sich ihrem Wesen nach distanziert. Gleichzeitig hadert sie an dem Zwiespalt von Ablehnung und Partizipieren. Sie will nicht, was man ihr vor die Nase hängt, sie braucht es nicht, trotzdem ist es überall. Ein Gift wie der Kapitalismus, verführerisch und zerstörerisch zugleich. Aus diesem Zustand heraus entsteht, was Gordon ihre "fucked up poetry" nennt. Die wirft sie in ihre Songs und vertraut darauf, dass sie dort als Gefühle einschlagen und aufgehen.

Sabotierte Gitarren

Dabei erreicht sie eine Radikalität, die der Schroffheit früher Arbeiten mit Sonic Youth nahekommt, ohne diese zu kopieren. Schon die von ihr und ihrem Produzenten Justin Raisen verwendeten Mittel verhindern das, die Dominanz der Gitarre wird beständig sabotiert. So entstehen düstere Rockruinen wie Murdered Out, so entsteht ein deformierter Rockabilly-Song wie Hungry Baby.

Matador Records

Gordon singt diese Lieder in ihrem typischen Press-Sprechgesang. Es ist eher ein Deklamieren, eine zornige Ohnmacht, die sich da den Weg bricht. Bedrängt wird dieses Gefühl vom Willen zur Fürsorge, vom eigenen Bedarf an Zuneigung, von der Notwendigkeit einer Standortbestimmung im letzten Drittel des Lebens – ohne den Ehrgeiz nach künstlerischem Grenzgang auf dem Altar des Alters zu opfern.

Verletzlichkeit als Waffe

No Home Record wirkt ein wenig wie das public image ihrer Schöpferin. Auf den ersten Blick abgebrüht und smart, erst Stück um Stück gibt es sich Preis. Die sich dann offenbarende Verletzlichkeit dient Gordon als Waffe. Als Strategie gegen die Systeme der Macht. In ihrer Welt ist nur stark, wer anderen hilft, die eigene Fehlbarkeit erkennt.

Get Yr Life Back heißt diesbezüglich der letzte Song des Albums. Das ist bei Gordon nicht nur ein Ratschlag an andere, es ist etwas, dass sie sich selbst vor Augen hält wie ein Memo. Im Falle von No Home Record ist es eines mit voller Wucht. (Karl Fluch, 11.10.2019)