Wegweisend: Bereits vor 50 Jahren ließ Alfred Schmeller das Museum zur Hüpfburg werden. Dieser Tage kann man wieder in seinem "Riesenbillard" herumtollen.

Foto: mumok

Schmeller und seine Frau, die Malerin Martha Jungwirth, porträtiert von Wolfgang Herzig.

Foto: Wolfgang Herzig

Schmellers Ankaufsbudget war klein, aber er machte "oho" daraus. Unter anderem mit Cagnaccio di San Pietros "Zoologie" aus den 1920er-Jahren.

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Er wollte den hehren Musentempel öffnen und den Leuten die Schwellenangst nehmen: Im Jahr 1969 trat in Wien Alfred Schmeller als Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts an und stellte die Institution auf den Kopf. Bereits mit einer seiner ersten Ausstellungen signalisierte der Kunsthistoriker den Aufbruch in eine neue Ära. Schmeller lud damals das Architektenteam Haus-Rucker-Co ein, das für seinen utopischen Ansatz bekannt war.

Das Team installierte im 20er Haus eine Art gigantischer weißer Luftmatratze, auf der Jung und Alt herumtollen durften. Drei riesige Bälle vervollständigten das 225 Quadratmeter große Riesenbillard. Dieser Tage schlüpfen wieder Museumsbesucher aus ihren Schuhen, um die mit Luft gefüllte Plattform zu erklimmen. Für die Ausstellung Alfred Schmeller. Das Museum als Unruheherd wurde die Installation zum Herumkugeln rekonstruiert.

Schmeller bewarb seine avantgardistische Hüpfburg mit dem Slogan "Der Prater ist geschlossen. Kommen Sie ins Museum!". Während Klettern, Rutschen oder Springen im heutigen Ausstellungsbetrieb eher normal ist, war eine solch sinnliche Tuchfühlung vor 50 Jahren noch spektakulär.

Im Zuge seiner Karriere hatte Schmeller nicht nur als Sekretär des Art Club und als Landeskonservator gearbeitet, sondern auch zehn Jahre lang als Kunstkritiker. Selbst an Kunstvermittlung interessiert, war es ihm ein Anliegen, Kindern und Jugendlichen lustvolle Begegnungen mit moderner Kunst zu ermöglichen. So wurde auf Schmellers Anregung hin eine Schau zum 100. Geburtstag des Architekten Adolf Loos auch in einer Variante für den Nachwuchs konzipiert.

Ein Museum für Junge

Die Präsentation Adolf Loos für junge Leute stellte ein puppenhausartiges, von Gymnasiasten gebautes Großmodell von Loos’ Haus Moller ins Zentrum. Mit einem speziellen Folder konnte sich die Jugend die Schau selbst erschließen. Nicht nur Mal- und Zeichenkurse wurden von Schmellers neuem "Education Department" veranstaltet, sondern auch spartenübergreifende Angebote wie Puppen- und Theaterspiele, Musik- und Literaturprogramme. Diesem Fokus auf ein junges Pulikum ist das mumok bis heute treu geblieben.

Das Museum des 20. Jahrhunderts verfügte in den 1970er -Jahren nur über ein geringes Ankaufsbudget, aber der neue Direktor machte viel aus wenig. Die von Schmeller erworbenen Malereien kommen sexy, schrill und spöttisch daher. Während in Österreich die Künstlergruppe Wirklichkeiten auf Coolness pfiff und fest auf die Farbtube drückte, folgten auch an der amerikanischen Ostküste die Chicago Imagists einem Realismus voll beißendem Witz.

Mit dem Sammlungsschwerpunkt auf dieser bunten US-Strömung bewies Alfred Schmeller einen guten Riecher: Die comichaften bis surrealistischen Gemälde von Jim Nutt, Karl Wirsum oder Gladys Nilsson werden gerade wiederentdeckt, etwa kürzlich in einer Ausstellung in London. Viele der Werke stellen Körper auf psychedelische Weise dar, er zählen von Rausch und Überschreitung.

Ringen mit den Trieben

Dass die sexuelle Befreiung in der Kunst schon vor ’68 ein Thema war, beweist das Gemälde Zoologie von Cagnaccio di San Pietro aus den 1920er-Jahren. Es zeigt ein nacktes Liebespaar, das mit seinen Trieben zu ringen scheint. Im Laufe seiner Amtszeit von 1969 bis 1978 konnte Schmeller die Besucherzahlen verdoppeln und mit Blockbustern wie Die Wiener Schule des Phantastischen Realismus die Massen anziehen. Er holte aber auch die legendären Ausstellungen Junggesellenmaschinen und Monte Verita des Schweizer Kurators Harald Szeemann nach Wien, der mit unkonventionellen Ausstellungsarchitekturen bekannt geworden war. Auch die aktuelle mumok-Schau bietet mehr als nur den White Cube. Eva Chytilek und Jakob Neulinger haben ein Display mit braunen Stellwänden kreiert, das an die 1970er-Jahre erinnert und durch Auslassungen ungewöhnliche Sichtachsen herstellt.

Mit einer kasperlhaften Nase ist der Museumsmann selbst auch in der Schau zu sehen. Der Künstler Wolfgang Herzig hat Schmeller 1979 in dem Doppelporträt A.S. und M.J. gemeinsam mit seiner Frau, der Malerin Martha Jungwirth, verewigt. Der spitzfindige Humor, der aus dem Bild spricht, hat sicher auch mit den Porträtierten zu tun. (Nicole Scheyerer, 11.10.2019)