Von der Türkei unterstützte syrische Oppositionskämpfer fahren in der syrisch-türkischen Grenzstadt Tal Abyad ein.

Foto: AFP / Bulent Kilic

Die Moscheen sind von jeher ein beliebtes Macht- und Kommunikationsinstrument des türkischen Präsidenten. So riefen die Muezzins des Landes auch am Mittwochabend zu einem Solidaritätsgebet mit den türkischen Soldaten auf, die gerade die Grenze Richtung Syrien überschritten hatten. Die ohnehin weitgehend von der Regierung kontrollierte Presse stimmte in den Chor ein. Kritik an der Offensive sei ein Verbrechen, tönten regierungsnahe Blätter. Laut der Nachrichtenwebsite Diken wurden in den vergangenen Tagen 78 Menschen verhaftet, die die Operation auf Social-Media-Plattformen wie Twitter kritisiert hatten.

Tatsache ist aber auch, dass die Militäroperation – die bereits mindestens 60.000 Menschen in die Flucht getrieben hat – großen Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Präsident Tayyip Erdoğan hatte die Offensive immer wieder angekündigt – zum ersten Mal vergangenen Dezember, als US-Amtskollege Donald Trump überraschend den Rückzug der US-Truppen verkündet hatte. Damals war es dazu aber doch nicht gekommen.

Die PKK und ihre Verbündeten genießen auch beim kurdischen Bevölkerungsteil der Türkei kaum Rückhalt. Dass diese militärisch geschwächt werden müssen, halten viele für notwendig. Ein "Sicherheitsstreifen" auf syrischer Seite scheint da vernünftig, schafft er doch einen Puffer zwischen den Gebieten der PKK auf türkischer Seite der Grenze und der Kurdenmiliz YPG in Syrien.

Schlechte Stimmung gegenüber Flüchtlingen

Gegenüber den syrischen Flüchtlingen hat sich die Stimmung in der türkischen Bevölkerung schon seit einiger Zeit gedreht. Die Mehrheit möchte, dass die überwiegend sunnitischen Araber das Land wieder verlassen. Dies spielte nicht zuletzt auch im Wahlkampf des neuen Bürgermeisters von Istanbul Ekrem Imamoglu eine Rolle, der die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge zu einem Thema machte. Damit setzte er die Regierungspartei, die bisher immer eine freundliche Flüchtlingspolitik verfolgt hatte, unter Zugzwang. Seitdem verfolgt die AKP den Plan, rund 140 neue Dörfer in dem Gebiet aufzubauen, in denen jeweils 5000 Flüchtlinge angesiedelt werden sollen.

Nicht zuletzt deswegen herrscht in der türkischen Politik nun eine Art Burgfrieden. Auch Kemal Kilicdaroglu, Führer der größten Oppositionspartei CHP, erklärte seine Solidarität mit der Offensive. Am Vortag hatte er Erdoğan noch "rechts überholt", indem er dem Präsidenten vorwarf, nicht angemessen auf die Drohungen des US-Präsidenten reagiert zu haben. Trump hatte mit der "Zerstörung der türkischen Wirtschaft" gedroht, sollte die Türkei zu weit gehen.

Unterstützung erhält Erdoğan bei der Offensive auch von den beiden nationalistischen Parteien MHP und Iyi-Partei. Nur die prokurdische HDP hält die "Operation Friedensquelle" für "extrem gefährlich". Innenpolitisch aber steht die Partei unter Druck, sich von der terroristischen PKK zu distanzieren.

Regierungspartei in der Krise

Für den angeschlagenen Präsidenten kommt die Offensive ohnehin gelegen, lenkt sie doch von der innenpolitischen Lage ab. Die AKP steckt in einer Krise: Gleich zwei Bewegungen sind dabei, sich abzuspalten. Eine konservative Partei formiert sich um den ehemaligen Außenminister Ahmet Davutoglu. Eine weitere Partei um den ehemaligen Wirtschaftsminister Ali Babacan will zu der wirtschaftsliberalen Politik der Anfangsjahre der AKP zurückkehren. Die Zustimmungswerte bröckeln, und noch immer leidet das Land unter Inflation und massiver Arbeitslosigkeit.

Unterdessen forderte der Kommunikationschef Erdoğans, Fahrettin Altun, mehr Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft. Washington habe "Ankara den Kampf gegen den IS übertragen", schrieb er in einem Gastkommentar in der "Washington Post". "Die Türkei, die die zweitgrößte Nato-Armee unterhält, ist willens und fähig, die Sache zu Ende zu bringen, und Millionen von Flüchtlingen die Rückkehr nach Syrien zu ermöglichen."

Das Risiko aber ist hoch. Selbst bei einem militärischen "Erfolg" ist es mehr als fraglich, ob sich in dem 30 Kilometer breiten und 480 Kilometer langen Korridor, der sowohl von Arabern als auch von Kurden bewohnt ist, ein oder gar zwei Millionen syrische Flüchtlinge wieder ansiedeln lassen. Das nämlich ist der Plan der türkischen Regierung. Mindestens ebenso so groß ist die Gefahr, dass die Militäroperation eine neue Flüchtlingswelle auslöst. Am Donnerstag drohte Erdoğan den EU-Staaten, die Grenzen für syrische Flüchtlinge zu öffnen, sollte die Kritik nicht aufhören.

Und schließlich ist unklar, was mit den 10.000 IS-Kämpfern geschehen soll, die bisher in Lagern von kurdischen Milizen bewacht werden. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 10.10.2019)