Ivo Kocherscheidt, Künstler und Fotograf, wohnt zwischen Brooklyn und dem Burgenland. Die Funktionen mischen sich bei ihm nahtlos. Dank der Person im Weißen Haus will er bald wieder nach Österreich ziehen.

"Das Haus in Jennersdorf ist für mich der Inbegriff eines organisch gewachsenen Lebens. In den Räumen spiegeln sich die Persönlichkeiten all jener Menschen, die hier leben und gelebt haben – meiner Mutter Elfie Semotan, meines Vaters Kurt Kocherscheidt, meines Stiefvaters Martin Kippenberger. Es ist ein verrücktes Haus, das erstens nie fertig war und zweitens nicht wirklich den Konventionen von Wohnen entspricht.

Ivo Kocherscheidt mit den Schaukelstühlen seiner Kindheit und dem Vater als Pappfigur.
Foto: Nathan Murrell

Wohnzimmer, Atelier, Scheune, Garage und Abstellraum sind bei uns weniger Räume als viel mehr Funktionen. Heute ist es so, und morgen vielleicht schon ganz anders. Ich kann mich erinnern, wie ich als Kind hier herumgelaufen bin und sich die Nutzungen der Zimmer von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr verändert haben. Großartig.

Keine Ahnung, ob sich hier irgendwer anderer wohlfühlen würde als meine Familie. Aber für mich ist dieses Haus, obwohl ich mit meiner Frau Ursula Davila-Villa und unserer dreijährigen Tochter Lucia eigentlich in New York lebe und hier vielleicht gerade einmal zwei Monate im Jahr verbringe, immer noch eine Art emotionaler Co-Mittelpunkt meines österreichisch-amerikanischen Lebens.

Das Haus in Jennersdorf hat nichts Ästhetisches im klassischen Sinne des Wortes. Es ist vielmehr eine Ästhetik, die sich aus der Geschichte und den vielen hier bereits stattgefundenen Nutzungen speist. Es ist eine spezifische Ästhetik des permanenten Gebrauchs.

Der Raum, in dem ich sitze, ist fünf bis sieben Meter breit und an der längsten Stelle sicher mehr als 20 Meter lang. Er wurde von meinem Vater als Atelier angebaut, danach war das das Studio meines Stiefvaters, und nun nutze ich ihn als Atelier, wenn ich im Burgenland bin.

Fotos: Nathan Murrell

Wohnen und Arbeiten verschwimmen nahtlos. Ich wüsste gar nicht, wie diese beiden Funktionen zu trennen wären. Das habe ich nie gelernt. Will ich auch nicht lernen. Auch unser Apartment in Greenpoint, Brooklyn, mitten im polnischen Viertel, wo man übrigens fantastische Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen kriegt, hat etwas Hybrides an sich. Wir gehen über vor Büchern und Kunstwerken. Wir wohnen wir in einem Archiv des Seins.

Auch hier haben viele Möbel und Kunstwerke eine Story. Die Fauteuils und der Schaukelstuhl standen einst in unserer Wiener Wohnung in der Kolingasse. Ich kann mich erinnern, wie ich als Kind darin immer hin- und hergeschaukelt bin. Die Jieldé-Industrielampen sind der Lichtleidenschaft meiner Mutter zu verdanken. Das abstrakte Pferd mit dem Sattel ist eine Skulptur von Albert Oehlen. Besonders gut gefällt mir die Schwarz-Weiß-Figur mit der Zigarette. Sie zeigt meinen Vater kurz vor seiner Südamerika-Reise. Da muss er Mitte/Ende 20 gewesen sein.

Wir sind richtige Sammler. Die Dinge werden immer mehr, und man schmeißt nie etwas weg. Eine unglückliche Situation!

Über die Jahre hat sich auf diese Weise extrem viel angesammelt, was hier in Jennersdorf nicht wirklich tragisch ist, aber in New York aufgrund der engen Platzverhältnisse dann doch problematisch werden kann. Unsere Wohnung in Chinatown, von wo aus wir nach Greenpoint zogen, war zum Glück groß genug für unsere europäischen Platzgewohnheiten, aber die Norm ist das natürlich nicht für New York.

Wahrscheinlich werden wir in zwei Jahren unseren Lebensmittelpunkt wieder nach Österreich verlagern. Das Leben in New York ist sehr teuer. Und die politische Situation ist auch nicht gerade angenehm. Die Person, die jetzt im Weißen Haus sitzt, ist nicht tragbar, und sie könnte ja wiedergewählt werden. Der Hauptgrund für den Umzug ist aber ein persönlicher, ein familiärer. Ich will unserer Tochter nicht nur New York beibringen. Ich will, dass sie lernt, dass es auf der Welt auch ein Burgenland gibt." (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 14.10.2019)