Vor der Literaturnobelpreis-Vergabe lagen die Wettquoten für den prominentesten lebenden österreichischen Schriftsteller Peter Handke bei 21:1. Nachdem die Schwedische Akademie den Preis 2018 wegen eines #MeToo-Skandals – 18 Frauen brachten Missbrauchsvorwürfe gegen den Ehemann eines Akademie-Mitglieds vor – ausgesetzt hatte, rechnete kaum jemand damit, dass ihn im Jahr darauf ausgerechnet ein alter, weißer – zudem noch europäischer – Mann gewinnen würde. Zwei Frauen, hieß es immer wieder, werden in diesem Jahr zum Zug kommen, so als wäre das die einzig adäquate Antwort auf die schwedischen Vorkommnisse im Vorjahr.

Dass der Literaturnobelpreis jetzt aber, 15 Jahre nachdem ihn die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek verliehen bekommen hat, an Peter Handke geht, ist trotzdem eine gute Nachricht – und das gleich in vielen Hinsichten. Während die Nobel-Komitee-Entscheidung für Elfriede Jelinek noch vielfach als politisch-feministisch kritisiert und auch beklagt wurde, verhält sich die Lage heute bei Peter Handke gänzlich anders, ja fast umgekehrt: Mit seiner umstrittenen wie langjährigen Unterstützung für Serbien während der Jugoslawienkriege und vor allem mit seiner Grabrede für Slobodan Milosevic hat sich der Autor und Langzeitanwärter auf diese höchste literarische Auszeichnung sicherlich schon einmal aus dem Rennen genommen.

Handke-Dauerausstellung im Stift Griffen.
Foto: APA/Gert Eggenberger

Diese Auszeichnung, jetzt 2019, geht an keinerlei Politik, sie geht an den Suhrkamp-Autor Peter Handke für sein dichterisches Werk, für seine Sprachkunst und Sprachsensibilität, dessen Gesamtausgabe mehr als unglaubliche 11.000 Seiten umfasst. Man könnte auch sagen, die Schwedische Akademie ist an dem Schriftsteller Handke nicht vorbeigekommen. Vollkommen zu Recht: Handkes autobiografisches Schreiben – das hat er mit der ebenso frisch gekürten polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gemeinsam – bürgt für den genauen Blick und die Suche nach Präzision in der Sprache, es steht für die Einordnung des Subjekts in unsere Welt und die Gesellschaft. Hier ist seit Jahrzehnten ein rastloser Beobachter am Werk, ein ungeheurer Menschenfreund, auch wenn er sich dieser Zuschreibung mit unbequemen öffentlichen Äußerungen stets entzieht. Mit Peter Handke hat die Schwedische Akademie eine Entscheidung für einen großen Künstler getroffen, der sich gegen jede Vereinnahmung verwahrt. Vor allem dafür ist dem Komitee zu danken.

Wir sind also jetzt Nobelpreis? Mitnichten. Peter Handke, der ein ganzes Popleben von seinen provokanten Rebellenauftritten bei der Gruppe 47 in Princeton im Frühjahr 1966 bis hin zur gelebten Innerlichkeit im Pariser Exil vollzogen hat und zum Bewohner seiner eigenen Niemandsbucht wurde, ist vielmehr Europäer. Kaum kommentiert der gebürtige Kärntner österreichische Innenpolitik, viel mehr das unglückliche Europa oder die brennende Notre-Dame. Der Einsiedler mit verwunschenem Garten in Chaville und Aussiedler aus Österreich gilt zudem als massiver Kritiker der Mediengesellschaft, der er sich meist erfolgreich entzieht. Am ehesten erreichen den Mann handgeschriebene Briefe, eine Faxnummer gab es auch einmal. Doch das letzte Faxgerät sah man in Handkes Garten verrosten.

Der Preis geht an einen Mann, der das wichtigste Kulturgut der Welt wie kein anderer verteidigt: das Buch. (Mia Eidlhuber, 10.10.2019)