Sebastian Kurz und Werner Kogler bei den Sondierungsgesprächen: Geht es nach der medialen Resonanz, ist Türkis-Grün Favorit. Doch Hürden warten nicht nur bei Sachfragen.

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Die FPÖ hat sich – vorerst – selbst aus dem Spiel genommen. Die bei der Nationalratswahl eingefahrenen 16,2 Prozent seien keine Legitimation für einen Eintritt in eine Regierung: Was Parteichef Norbert Hofer öffentlich angekündigt hat, bekräftigte er auch beim ersten koalitionären Abtasten mit Sebastian Kurz. Er respektiere die Entscheidung für die Opposition, verlautbarte der ÖVP-Chef im Anschluss, worauf Hofer die Teilnahme der Blauen an weiteren Sondierungsgesprächen absagte.

Die FPÖ hat den Gang in die Opposition angekündigt.
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Da waren's nur noch drei: Wenn Wahlsieger Kurz ab nächstem Mittwoch zur nächsten Runde der Sondierungsgespräche lädt, dürften folglich ausschließlich Vertreter von SPÖ, Grünen und den Neos auftauchen. Einander gegenübersitzen werden dann nicht mehr nur die Parteichefs, es soll Gespräche "in größerer Runde" geben.

Offiziell – das gehört zum taktischen Spiel – lassen sich die Akteure nicht in die Karten schauen. Doch zeichnet sich hinter den Kulissen bereits ein Favorit ab?

Mister Balkanroute als Klimakanzler

Geht es nach der Resonanz, liegt Türkis-Grün in der Poleposition: Keine andere Konstellation wird in den Medien derart breitgewalzt, und reizvoll ist diese Variante auch für den Mann auf Partnersuche. Kurz könnte sich als bahnbrechender, über den Ideologien schwebender Regierungschef präsentieren, der nicht nur den Mister Balkanroute, sondern auch den Klimakanzler draufhat.

Und wenn man Kurz nicht nur strategische Motive unterstellen will: Womöglich hat der alte und wahrscheinlich neue Kanzler ja erkannt, dass Klimaschutzmaßnahmen unumgänglich sind. Die Koalition mit den Grünen könnte den nötigen Zwang entfalten, um die Widerstände in der ÖVP – etwa der Bauern – zu brechen.

Die Grünen haben sehr konkrete Erwartungen, wie das Angebot der ÖVP aussehen werde. "Alles beim Klimaschutz – aber sonst nichts", fasst ein künftiger Abgeordneter die Einschätzung zusammen. Soll heißen, dass Kurz im Umweltbereich weitgehend nachgibt, sich bei Themen wie Zuwanderung und Sozialpolitik aber keinen Zentimeter bewegt.

Würden die Grünen für ein fettes Klimaschutzpaket bei den anderen Fragen stillhalten? Der Mandatar verneint. Der Kampf gegen Kinderarmut gehöre genauso zum Selbstverständnis wie der Ökogedanke: Dass die Partei etwa die von Türkis-Blau verfügte Kürzung der Sozialhilfe für größere Familien einfach schlucke, sei nicht denkbar.

Türkis-Grün sucht gemeinsame Story

Selbst wenn sich in Sachfragen Kompromisse finden ließen, trennt dann noch die Rhetorik die Koalitionäre in spe: Es braucht eine gemeinsame Erzählung, bei der beide Parteien mitkönnten. Seenotretter als Schlepper oder Sozialhilfeempfänger als Arbeitsunwillige zu brandmarken, wie das Kurz pflege, sei für eine Koalition unverträglich, so die grüne Sicht. Das würde die Identität der Partei untergraben, mit einer massiven Wählerflucht als Folge.

Umgekehrt gilt im Prinzip das Gleiche. Die harte Linie gegen Zuwanderung und angeblichen Sozialmissbrauch hat der ÖVP ein ungeahntes Wachstum beschert. Aus Kurz' Sicht ist es verständlich, dass er diese Marke nicht aufweichen will, zumal ihm eine scharfe FPÖ-Opposition rasch massenhaft Rechtswähler wegnehmen könnte.

Bei all diesen Schwierigkeiten: Meint es Kurz überhaupt ernst? Die Grünen sind gebrannte Kinder, seit sie 2003 viel Energie in letztlich vergebliche Sondierungen und Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP gesteckt haben. Damit es diesmal nicht auf einen ergebnislosen Marathon hinausläuft, soll Parteichef Werner Kogler Kurz beim dieswöchigen Auftaktgespräch unter vier Augen gleich einmal ein Positionspapier vorgelegt haben – um abzustecken, worum es den Grünen geht.

Absage auf Zeit

Denn eine Angst ist auch nach dem ersten, konzilianten Abtasten nicht ausgeräumt: dass Kurz mit den Grünen nur pro forma verhandelt, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, es nicht versucht zu haben – und dann doch die für ihn bequemste Variante wählt.

Türkis-Blau ist trotz der Absage der FPÖ keinesfalls vom Tisch. Hofer selbst hat die Hintertür offengelassen: Sollte die ÖVP an der Regierungsbildung scheitern, seien sich die Blauen ihrer Verantwortung bewusst und könnten sich doch als Partner anbieten.

Während sich die Koalitionsverhandlungen wegen weitgehender Übereinstimmung in Sachfragen wohl im Rekordtempo abwickeln ließen, bliebe eine Hürde: Herbert Kickl. Der Ex-Innenminister wird in der ÖVP als unkalkulierbarer Risikofaktor genannt, der eine Koalition jederzeit sprengen könnte – und sei es aus Rache für den Verlust des Regierungsamts.

Die Neos sind zu klein für einen Mehrheitsbeschaffer und deshalb allenfalls als Dritter im Bund interessant. Bleibt noch die SPÖ. Doch trotz Jahrzehnten in der Regierung sind die Sozialdemokraten diesmal nur Außenseiter.

Seit der Wahlschlappe geht in roten Reihen die Existenzangst um. "Hauptsache regieren" werde es diesmal nicht spielen, sagt ein Mandatar: Da müsste in den Verhandlungen schon ein sehr gutes, fast unrealistisches Ergebnis her, um in der Partei eine Mehrheit für Türkis-Rot zu finden. Aber wahrscheinlich komme man eh gar nicht zum zweifelhaften Vergnügen konkreter Regierungsverhandlungen, so eine verbreitete Meinung: "Von allen will Kurz uns als Letzte als Partner." (Gerald John, 11.10.2019)