Wenn Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch die Praxis von Caroline Riedler im 3. Gemeindebezirk in Wien besuchen, dann haben sie oft hohe Erwartungen. Kann ein Coaching dabei helfen, schneller schwanger zu werden? "Eine Schwangerschaft kann ich natürlich nicht herbeiführen", stellt die Therapeutin klar. Stattdessen bietet sie ihren Klienten emotionale Unterstützung und Begleitung, ob im Einzelcoaching oder in einer Paartherapie.

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Frauen suchen häufig die Schuld für die Kinderlosigkeit bei sich.
Foto: Getty Images/blackCAT

Wenig Wissen über den eigenen Körper

Frauen werden immer später Mütter. In Österreich lag im letzten Jahr das durchschnittliche Alter für das erste Kind bei 29,5 Jahren. Auch die Zahl der späten Geburten ab 40 hat sich in den letzten 35 Jahren mehr als verdreifacht. "Bei vielen Frauen klappt es in diesem Alter allerdings nicht mehr", betont Riedler. "Es ist verständlich, dass zuerst Studium und Karriere im Vordergrund stehen. Auch der richtige Partner will gefunden werden. Viele Frauen denken daher erst spät an Kinder."

Die Therapeutin sei häufig erstaunt darüber, wie wenig ihre hoch gebildeten Klientinnen eigentlich über ihren eigenen Körper wissen. "Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass die Fruchtbarkeit bereits ab dem 26. Lebensjahr laufend abnimmt und ab 40 grob gesagt jede zweite Frau unfruchtbar ist. Es ist für die Frauen dann oft sehr ernüchternd, und sie stellen häufig ihre Lebensentscheidungen infrage im Sinne von ‚Wenn ich das gewusst hätte …‘"

Die Aussage von Riedler bestätigt auch eine Umfrage des deutschen Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2015: Demnach hatten 45 Prozent der ungewollt kinderlosen Frauen im Alter von 30 und 39 Jahren noch nie einen Zweifel an ihrer Fruchtbarkeit gehabt. Selbst von den 40- bis 50-Jährigen glauben 27 Prozent der Frauen mit Kinderwunsch tatsächlich fest daran, dass sie noch fruchtbar sind.


Das "typische" Kinderwunsch-Paar

Aus eigenen Beobachtungen über die Jahre und Gesprächen mit Gynäkologen bzw. ReproduktionsmedizinerInnen gibt es "typische" Merkmale für Kinderwunsch-Paare. "Kein Paar gleicht dem anderen und jede Kinderwunsch-Geschichte ist ihre eigene Geschichte, aber meist besuchen mich Menschen, die gelernt haben, dass ein hoher Input gleich einen hohen Output bedeutet, dass man sich also anstrengen muss, wenn man etwas erreichen will", erklärt Riedler. "Menschen, die gewohnt sind, viel in ein klar definiertes Ziel zu investieren. Wenn es mit dem Schwangerwerden trotz aller Anstrengungen nicht klappt, dann muss eben noch mehr investiert werden."

Man unterwirft sich also einer Reihe von Ernährungs- und Verhaltensregeln, man besucht spezielle Yoga-Kurse oder plant den Sex punktgenau. Ob das hilft? "Es kann natürlich helfen", so Riedler. "Das Problem ist nur, dass ein Kinderwunsch nicht wie andere Projekte planbar ist und eines der wenigen Dinge in unserer Gesellschaft ist, die man kaum beeinflussen kann." In diesem Punkt scheint es so eine Art Schicksal oder Zufall zu geben – und dieses zu akzeptieren, fällt schwer. Im Kinderwunsch-Coaching kann demnach auch das Ziel sein, dies zu akzeptieren und damit besser umgehen zu können.


Gut gemeinte Ratschläge, die nichts verbessern

Wie schmerzlich ein unerfüllter Kinderwunsch sein kann, musste Caroline Riedler selbst erfahren: "Es ist frustrierend, man fühlt sich hilflos und ausgeliefert." Immer wieder kommen Fragen von Freunden und Verwandten, wie "Und, wann ist es bei euch endlich so weit?" Das erzeugt häufig großen Druck bei den Betroffenen. Und es gehört viel Mut dazu, offen zu erklären, dass es einfach nicht klappen will.

Gut gemeinte Ratschläge machen die Situation nicht besser. "Häufig wird dazu geraten, sich endlich mal zu entspannen, oder man schickt das Paar auf Urlaub", weiß Riedler. In den Sitzungen berichten Klienten aber auch von viel Unverständnis, weil es zum Beispiel schon ein Kind gibt und die Sehnsucht nach einem Geschwisterkind nicht nachvollziehbar ist.

Riedler findet: "Der Wunsch ist genauso stark da und lässt sich nicht durch das erste Kind relativieren." In solch einer Phase braucht das Paar weder Tipps noch Vergleiche mit anderen. Stattdessen rät die Expertin, den Betroffenen ein offenes Ohr zu schenken und auf keinen Fall zu bewerten.


Caroline Riedler arbeitet als Psychologin, Coach und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision in eigener Praxis in Wien und hat sich auf die Begleitung von Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch spezialisiert. Sie hat drei Kinder.
Foto: Laurent Ziegler, Bildrecht

Die Sache mit der Entspannung

Heute gibt es Studien, die beweisen, dass sich Stress negativ auf die Fruchtbarkeit auswirkt. Paare, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, leben meist mit einem hohen Erwartungsdruck. Nicht selten belastet das Thema auch die Beziehung. Dieser Zustand kann wiederum stressen. Ein Teufelskreis, aus dem man ohne psychologische Unterstützung schwer ausbrechen kann. "Wenn Paare über Jahre versuchen, ein Kind zu bekommen, ist der Leidensdruck enorm hoch – und ein entspannter Zustand oft nicht mehr existent", erklärt Riedler.

Dabei scheint es nicht nur ein Mythos zu sein, dass Stressreduktion bei der Fortpflanzung hilft: "Die Geschichten, in denen der Kinderwunsch erst dann erfüllt wird, wenn man ihn eigentlich schon aufgegeben hat, sind nicht nur Geschichten."

Riedler habe erst kürzlich wieder ein Paar betreut, das beruflich bedingt eine längere Pause einlegte. "Der Mann bekam einen Job in Asien. Seine Frau begleitete ihn." Da es für beide undenkbar war, dort ein Kind zu bekommen, legten sie ganz bewusst eine Pause ein. Es wurde weder auf die Ernährung noch auf den Zeitpunkt des Eisprungs geachtet. "Im ersten Monat war die Frau schwanger", erzählt die Expertin. Sie kann nicht sagen, woran es liegt, aber sie erlebt diese Fälle auch in ihrer Praxis immer wieder.

Reproduktionssex von lustvollem Sex unterscheiden

Für Unfruchtbarkeit gibt es eine Vielzahl an Gründen, die körperlich oder psychisch bedingt sein können. Manchmal liegt es an der Frau, manchmal am Mann, und in zehn Prozent der Fälle findet man physiologisch keine Ursache für das Ausbleiben der Schwangerschaft. Dann spricht man von der idiopathischen Sterilität.

Diese Diagnose ist für das Paar oft sehr schwer auszuhalten, weil es ja "keine Ursache gibt, es also eigentlich funktionieren müsste". Das Interessante sei laut Riedler, dass Frauen sich auf jeden Fall für die Kinderlosigkeit verantwortlich fühlen, selbst wenn die Ursachen eindeutig beim Mann liegen.

Eine idiopathische Sterilität sei vor allem für Männer eine enorme Belastungsprobe. Wenn es nur noch Geschlechtsverkehr nach Termin gibt, entsteht Erwartungsdruck, der wiederum zu einer Erektionsstörung führen kann. Die Kinderwunsch-Expertin rät in solchen Fällen dazu, Reproduktionssex von lustvollem Sex zu unterscheiden. "Meine Erfahrung ist, dass Männer sich völlig hilflos fühlen, wenn es wieder und wieder nicht klappt." Dieses Gefühl kann zu einer so starken Anspannung innerhalb der Beziehung führen, dass ein Austausch und damit gegenseitige Unterstützung nicht mehr möglich ist. Riedler rät solchen Paaren zu einer Paartherapie, in der sie einen geschützten Raum für den Austausch finden.

Kooperation gewünscht

Schade findet Riedler, dass es nicht mehr Gynäkologen und Reproduktionsmediziner gibt, die ihren Patienten eine begleitende Psychotherapie empfehlen. "Psychotherapeutische Begleitung ist laut einigen Ärzten und Ärztinnen von der Seite der Patientinnen her nicht erwünscht, daher wird sie oft auch nicht empfohlen." Dabei wäre es laut Riedler wichtig, auch für die psychische Gesundheit der Betroffenen Sorge zu tragen. "Ich habe Klienten, die aufgrund ihrer Kinderlosigkeit unter starken Depressionen leiden. Eine Begleitung halte ich hier für sehr sinnvoll."