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70.000 Menschen leben im Camp al-Hol. Auch die Österreicherin Maria G. und ihre Kinder.

Foto: reuters / Ali Hashisho

Angesichts der türkischen Militäroffensive in Syrien wird die Lage für die beiden Österreicherinnen, die sich vor wenigen Jahren dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) anschlossen und sich nun mit ihren Kindern in kurdischen Lagern befinden, immer prekärer. Offiziell sind im Fall der 20-jährigen Wienerin und ihrem Kind noch "offene Vorfragen" zu klären, im Fall der Salzburgerin Maria G. und ihrer Kinder wartet man noch auf das Ergebnis eines DNA-Tests.

Im Hintergrund dürfte jedoch nun intensiver beraten werden, ob die Frauen mit ihren Kindern zurückgeholt werden sollen. Denn durch die türkische Offensive nehmen die Sicherheitsrisiken in der Region stark zu, sagt Außenministeriumssprecher Peter Guschelbauer: "Die Bewertung der Sicherheitsrisiken bleibt natürlich für die Frage einer möglichen Rückholung oder anderer Maßnahmen maßgeblich." Man sei in engem Kontakt mit Partnerinstitutionen, um die Situation in den Lagern und in der Region genau einzuschätzen.

Die Salzburgerin Maria G. ist im Jahr 2014 mit 17 Jahren freiwillig nach Syrien ausgereist und hat sich dem sogenannten "Islamischen Staat" angeschlossen. Käme sie nach Österreich zurück, würde sie ein Prozess erwarten.

Anwalt und Eltern kritisieren Außenministerium

Am Sonntag hatten die Eltern von Maria G. das letzten Mal mit ihrer Tochter per Whatsapp Kontakt. Im Lager kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Es gehe ihrer Tochter und den Enkelkindern "so weit gut", sagt Mutter Susanne G. im STANDARD-Gespräch. Der Gesundheitszustand der eineinhalb- und dreieinhalbjährigen Enkelkinder verschlechtere sich jedoch rapide, sagen die Eltern: "Sie haben sich zeitweise von Tierfutter ernährt. Sie brauchen dringend Hilfe."

Wenn, dann müsse man schnell entscheiden, sagt Anwalt Johann Eder, der Maria G. und ihre Eltern vertritt, zum STANDARD: "Dass die Lage drängend ist, wäre noch milde ausgedrückt." Das Außenministerium habe er wiederholt auf die Dringlichkeit der Lage hingewiesen. "Man hätte bereits Monate Zeit gehabt, sie zurückzuholen", sagt Eder. "Wir haben es hier nicht mit Terroristen, sondern mit Kindern zu tun. Sollte ihnen etwas passieren, ist man sehenden Auges da reingelaufen." Eine Rückholung der Kinder ohne Mutter ist laut Außenministerium nicht möglich.

DNA-Kit seit Wochen auf dem Weg

Man habe vor einigen Wochen einen Kit mit dem DNA-Test in das Lager al-Hol geschickt, in dem sich Maria G. und ihre Kinder befinden, sagt Außenministeriumssprecher Guschelbauer. Der Test, der die Verwandtschaft und damit die österreichische Staatsbürgerschaft der Kinder bestätigen soll, wurde bisher immer als Voraussetzung für eine Rückholung bezeichnet. Dieser Test-Kit sei jedoch bisher nicht bei Maria G. angekommen, sagen ihre Eltern: "Warum hat man keinen Kit bei der Rückholung der beiden Waisenkinder mitgegeben?", sagt Vater Markus G. Er bezieht sich auf die Rückholung der beiden Kinder der mutmaßlich toten Sabina S., die vor gut einer Woche erfolgte.

Erst kürzlich seien Aufstandsversuche im Lager al-Hol – in dem sich Maria G. und 70.000 andere Menschen befinden – gescheitert, berichtet der Politologe Thomas Schmidinger. Die Lage sei wieder so ruhig, dass eine Überstellung "jetzt" wohl noch möglich wäre: "Wir sprechen von einem Zeitfenster von ein paar Tagen."

Doch wenn auf dem DNA-Test bestanden wird, "wird's schwierig", sagt Schmidinger. Der Politologe trug bereits wesentlich zur Rückholung der beiden Waisenkinder bei, die vor gut einer Woche in Wien landeten, und kennt auch die Familie von Maria G. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder, die von Anfang an bei ihr waren, nicht ihre sind, ist sehr gering", sagt Schmidinger. Die Eltern sagen, sie könnten durch den Whatsapp-Chatverlauf und Fotos beweisen, dass es Marias Kinder seien.

Markus G. spricht von einer "Verzögerungstaktik" seitens des Ministeriums. Die Großeltern sagen, sie hätten bereits ein Zimmer für die Enkelkinder hergerichtet. "Selbstverständlich würden wir uns um sie kümmern", sagt Susanne G. Im Falle der beiden Kinder der mutmaßlich toten Sabina S. bekamen die Großeltern das Sorgerecht zugesprochen.

Debatte um Staatsbürgerschaft

Im Zuge der aktuellen Debatte forderte der geschäftsführende FP-Klubchef Herbert Kickl "IS-Unterstützern" die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Eine entsprechende Gesetzesänderung wolle die FPÖ im Nationalrat einbringen.

Bereits 2014 wurde ein neuer Tatbestand eingeführt, der es möglich macht, IS-Kämpfern die Staatsbürgerschaft zu entziehen. "Diese Regelung zielt speziell auf jene ab, die sich an Kampfhandlungen beteiligten", sagt Staatsbürgerschaftsexperte Gerd Valchars von der Universität Wien. Deshalb greift sie auch nicht bei Unterstützerinnen wie jenen Frauen, die sich dem sogenannten Islamischen Staat freiwillig anschlossen, sich aber an keinen Kampfhandlungen beteiligten.

Eine solche Gesetzesänderung wird laut Experten aber nicht möglich sein – zumindest nicht, wenn sie mit völkerrechtlichen Bestimmungen im Einklang sein soll. Denn schon jetzt ist der Entzug der Staatsbürgerschaft auch bei IS-Kämpfern nur dann möglich, wenn die Person auch die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes besitzt, also Doppelstaatsbürger ist. Das regelt etwa das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit, das auch Österreich ratifizierte. Und dieses würde für jede andere Regelung ebenso gelten, sagt Valchars zum STANDARD.

Dieser Ansicht schließt sich auch Andreas Sauermoser vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte an. Denn das Übereinkommen hätte eben zum Ziel, dass keine Person staatenlos würde. Er machte außerdem darauf aufmerksam, dass ein Entzug der Staatsbürgerschaft auch aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich wäre. (Vanessa Gaigg, 11.10.2019)