Der Bulle, an der Börse Symbol für dauerhaft steigende Kurse, kann sich offenbar nicht so gut mit extrem expansiver Geldpolitik anfreunden.

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Aktien sind alternativlos. Diese Aussage wurde in der Tiefstzinsphase nach der Finanzkrise von etlichen Finanzmarktexperten angesichts fehlender Zinserträge anderer Anlageformen mehrfach betont. Andere Experten wie der Ökonom Rahim Taghizadegan sehen aufgrund der massiven Eingriffe der Notenbanken an den Finanzmärkten mittlerweile eine "Alles-Blase", wie er unlängst im Interview mit dem STANDARD erklärte. Diese kann seiner Meinung nach entweder platzen oder sich durch eine Dauerkorrektur wie in Japan auflösen. Was ist nun zutreffend? Und gibt es an Europas Aktienmärkten überhaupt Bubbles, die platzen könnten?

Üblicherweise spricht man von einer Spekulationsblase, wenn Vermögensgegenstände deutlich über ihren inneren, also fundamental gerechtfertigten Wert liegen. In der Regel befinden sich derartige Assets in diesem Fall auch auf Rekordkursen – wovon an den meisten europäischen Aktienmärkten keine Rede sein kann. Ablesen lässt sich dies etwa am paneuropäischen Stoxx-600-Index: Dieser notiert aktuell noch um etwa sechs Prozent unter dem beinahe zwei Jahrzehnte altem Hoch aus dem Jahr 2000, knapp bevor die Technologieblase der Jahrtausendwende platzte.

Dax-Kursindex unter Jahr 2000

Auch dem deutschen Aktienmarkt ist es seither nicht gelungen, das Kursniveau der Jahrtausendwende nachhaltig zu übertreffen. Denn der Leitindex Dax ist im Gegensatz zu den meisten anderen Börsenbarometern ein sogenannter Performanceindex, in dem Dividendenzahlungen der Unternehmen berücksichtigt werden. Dem Dax-Kursindex, bei dessen Berechnung Ausschüttungen nicht erfasst werden, fehlen rund 15 Prozent auf das Hoch aus dem Jahr 2000. Noch wesentlich mehr auf die Höchstkurse fehlen etwa dem heimischen ATX, der mehr als 40 Prozent unter dem Rekord aus dem Jahr 2007 liegt, oder dem italienischen Leitindex, dem fast 60 Prozent auf das 2000er-Hoch fehlt.

Anders sieht die Lage in Großbritannien aus, wo der FTSE-100-Index trotz des anstehenden EU-Austritts die alten Höchststände der Jahre 2000 und 2007 bereits übertreffen konnte und derzeit etwa zehn Prozent über diesen Niveaus notiert. Und die US-Börsen haben die alten Höchststände gemessen am Dow Jones Index ohnedies bereits 2013 überflügelt und notieren derzeit um 87 Prozent über dem alten Rekord aus dem Jahr 2007. Wenn es eine Aktienblase geben sollte, dann ist diese am ehesten an der Wall Street zu verorten.

Zinsentwicklung macht den Unterschied

Was die USA und Großbritannien von den eher lahmen kontinentaleuropäischen Börsen unterscheidet, ist die Zinsentwicklung. In beiden Ländern verzichteten die Währungshüter im Gegensatz zur EZB auf Negativzinsen, auch die zehnjährigen Renditen blieben in beiden angloamerikanischen Staaten stets im positiven Terrain. Was dieser Unterschied auf Dauer bedeutet, zeigt ein Blick nach Japan, wo die Notenbank schon am längsten mit Null- und Negativzinsen experimentiert.

Auslöser dafür war eine Aktien- und Immobilienblase, die Ende der 1980er-Jahre im Land der aufgehenden Sonne geplatzt war. Seitdem kam der dortige Leitindex Nikkei 225 niemals an die damaligen Rekordwerte heran, fast 30 Jahre später liegt der Aktienmarkt etwa 45 Prozent unter dem damaligen Niveau. Dies deutet darauf hin, dass ein zu expansiver Kurs von Notenbanken im Gegensatz zu Anleihen oder Immobilien an den Aktienbörsen gegen neue Rekordhochs spricht. In Anbetracht der Geldpolitik der EZB könnte dies auch für Europas Börsen zutreffen.

Fokus auf Dividenden

Warum gelten dann für so viele Experten selbst europäische Aktien als alternativlos, wenn die Geldpolitik offenbar gegen neue Rekordwerte spricht? Auch diesbezüglich kommen wieder die Zinsen und Renditen ins Spiel. Denn fast alle als sicher geltenden Staatsanleihen, allen voran deutsche Schuldverschreibungen, weisen derzeit eine negative Rendite auf, die Anlegern Verluste bescheren – im Gegensatz zu den Aktienindizes, wo die Unternehmen einen Teil ihrer Gewinne als Dividenden an die Eigentümer ausschütten. Beim Dax betrug diese per Ende August 3,0 Prozent.

Auf lange Sicht schlagen die Dividendenausschüttungen sehr stark auf den Finanzerfolg von Aktieninvestments durch. Während dem Dax beim Kursniveau noch 15 Prozent auf das 2000er-Hoch fehlen, hat er inklusive Ausschüttungen den Anlegern seither eine Performance von fast 49 Prozent eingespielt. Selbst wenn kurzfristig keine neuen Kursrekorde anstehen dürften, sprechen die laufenden Dividenden trotzdem für die Aktienmärkte. (Alexander Hahn, 12.10.2019)