Vor einigen Tagen erschien der neue Integrationsbericht des Außenministeriums, und die Aufregung war groß. Grund für den Aufreger war der Befund, dass im OECD-Vergleich der Anteil der SchülerInnen, die zu Hause eine andere Sprache als Deutsch sprechen, unverhältnismäßig hoch sei. Besonders in der zweiten Generation von Zuwandererinnen und Zuwanderer sind die Unterschiede deutlich: In EU und OECD sind es 40 Prozent, die zu Hause eine andere Umgangssprache als die Unterrichtssprache sprechen, bei uns 73 Prozent. Das hat die Boulevardmedien, aber nicht nur diese, in alarmistische Stimmung versetzt, die man in etwa so zusammenfassen könnte: In unseren Schulklassen, allem voran in Wien, sitzen nur mehr Ausländerkinder, die nicht Deutsch können und sprechen und unsere Kinder hinunterziehen.

Kein Deutsch zuhause bedeutet nicht gleich schlechtes Deutsch

Wie aber sind diese Zahlen einzuordnen und wie sieht es tatsächlich in unseren zunehmend von einer heterogenen Schülerschaft geprägten Schulklassen aus? Worum geht es wirklich? Worum es nicht geht, ist schnell gesagt und wurde schon bei der Präsentation des Berichts von der Vorsitzenden des Expertenbeirats, Katharina Pabel von der Johannes-Kepler-Uni Linz, betont: Eine andere Familiensprache zu Hause ist nicht gleichzusetzen mit schlechten Deutschkenntnissen. Diese Gleichung geht nicht auf. Manche der betreffenden Kinder sprechen sehr gut Deutsch, manche sehr schlecht; viele sprechen in der Schule Deutsch, andere wiederum nicht. Manche sind erst kurz in Österreich und haben schnell Fortschritte im Erwerb der deutschen Sprache gemacht, andere sind schon hier geboren und weisen dennoch große Defizite in der Beherrschung des Deutschen auf. Andere wiederum beherrschen weder die Erstsprache noch die Zweitsprache gut. Wiederum andere kommen aus deutschsprachigen, aber sozial benachteiligten Elternhäusern und beherrschen ihre Erstsprache Deutsch ebenfalls mangelhaft. Über all das sagen uns also die Zahlen per se nichts aus.

Was uns die Zahlen aber sagen ist, dass die zweite Generation an Migranten langsamer bei uns ankommt als in vergleichbaren Ländern, jedenfalls im aktuellen Kontext des Erwerbs der deutschen Sprache. Es ist also höchste Zeit, dass wir endlich genauer hinschauen, was hierzulande im Zusammenhang mit Migration und Bildung/Schule falsch läuft beziehungsweise auch, warum bei uns die soziale Benachteiligung im und durch das Schulsystem im internationalen Vergleich besonders hoch ist. Dass das so ist, wissen wir seit etwa 20 Jahren, seit es internationale Bildungsvergleichsstudien gibt. Es ist jedenfalls nicht alleine der sogenannte Migrationshintergrund oder die andere Erstsprache, die zu Benachteiligungen führen. Es ist vielmehr die Kombination dieser zwei Faktoren mit einem dritten, nämlich dem ökonomischen Hintergrund des Elternhauses und dessen Bildungshintergrund. Kommen die drei Faktoren zusammen, dann hat ein Kind in Österreich einen erheblich erschwerten Start ins Leben.

Das wissen wir seit zwei Jahrzehnten, und dennoch wurde wenig unternommen, um dem nachhaltig entgegenzuwirken. Genauso schwer wiegt die Tatsache, dass Österreich seit einem halben Jahrhundert ein Einwanderungsland und längst in der Migrationsgesellschaft angekommen ist, lange vor 2015, als wir die große Fluchtbewegung zu bewältigen hatten. Seitdem die ersten Gastarbeiter zu uns kamen, haben wir Kinder mit so genanntem Migrationshintergrund in unseren Schulen, aber wie es denen geht, hat lange niemand interessiert, jedenfalls nicht die Politik. Ob und wie sie Deutsch lernen war lange ebenso wenig Thema wie die Tatsache, dass viele dieser Kinder und Jugendlichen zu einem überproportional hohen Anteil in Sonderschulen vertreten waren.

Bei Bildung und Migration läuft in Österreich vieles falsch.
Foto: Der Standard/Regine Hendrich

Kernproblem: Entwicklungsrückstände aufholen

An der Grundproblematik hat sich auch 2019 leider nichts geändert. Noch immer besteht ein hoher Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsabschluss. Noch immer finden sich unter den "Early School Leavers", also Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, überproportional viele aus sozial schwachen, häufig auch migrantischen Familien. Und noch immer kann bei uns die Schule Defizite, die Kinder von zu Hause mitbringen, besonders schlecht kompensieren. Kein Wunder, denn noch immer warten wir auf ein Gesamtkonzept für eine Schulreform, das auch den Veränderungen durch Migration und Globalisierung Rechnung trägt. Noch immer warten wir darauf, dass der Umgang mit Heterogenität, kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit verpflichtend Eingang in die Lehreraus- und -fortbildung findet. In der erst vor einigen Jahren beschlossenen neuen Pädagogenbildung ist das jedenfalls nicht der Fall. Gerade einmal für ein freiwilliges Modul hat es gereicht.

Dabei wissen wir nicht nur, was schiefläuft, sondern auch, wie dem zu entgegnen wäre. Ein Kernproblem besteht darin, dass viele Kinder bereits zu Beginn des verpflichtenden Kindergartenjahres erhebliche Entwicklungsrückstände aufweisen, und zwar nicht nur im Bereich der Zweitsprache. Diese Rückstände können aufgrund der Organisation unseres Schulsystems häufig nicht mehr aufgeholt werden. Die Ursachen sind vielfach: Die Gruppengrößen in den Kindergärten sind im internationalen Vergleich viel zu groß und es fehlt meist an entsprechend ausgebildetem Personal. In der Volksschule sind die Lehrerinnen und Lehrer oft auch nicht in der Lage, die mitgebrachten Defizite auszugleichen, teils, weil es an personellen Ressourcen fehlt, teils auch, weil der Unterricht nicht darauf ausgerichtet ist, Defizite gezielt zu beheben. So werden diese Defizite in die Sekundarstufe I (NMS) mitgenommen, mit den bekannten Folgen.

Was es braucht

Um diese für Österreich beschämende Situation nachhaltig zu verbessern, müsste an vielen Hebeln angesetzt werden, beginnend bei aufsuchender Elternarbeit bald nach der Geburt, wie sie etwa in skandinavischen Ländern gängige Praxis ist. Ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für alle wäre dringend notwendig, und die Rahmenbedingungen in diesen Einrichtungen müssen endlich internationalen Standards angepasst werden. In der Schule muss sich der Unterricht hin zur Individualförderung ausrichten, wobei multiprofessionelle Teams professionell mit Diagnoseinstrumenten umgehen können. Durchgängige Sprachförderung mit dafür ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern wäre ein weiterer wichtiger Faktor. Je größer und vielfältiger die Herausforderungen an Schulen sind, desto mehr Ressourcen brauchen diese Schulen, das heißt, auch in Österreich ist es an der Zeit, vom Gießkannenprinzip abzulassen und einen Chancenindex für gerechte Mittelzuteilung einzuführen. Zielvorstellung wäre eine gerechte, ganztägige gemeinsame, inklusive Schule, die kein Kind zurücklässt. Und eine Schule, die die Eltern ins Boot holt – Begegnung auf Augenhöhe ist erfolgreicher als Sanktionen, das wissen wir aus internationalen Good-Practice-Beispielen. Aber zum Umgang mit den Eltern an dieser Stelle ein anderes Mal mehr. (Heidi Schrodt, 15.10.2019) 

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