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Peter Handke 2006 bei der Beerdigung Slobodan Miloševićs. Die Teilnahme am Begräbnis regt auch heute noch viele auf.

Foto: STR/AFP/picturedesk.com

Der Literaturnobelpreis für Peter Handke zieht international teils heftige Kritik auf sich. Nicht weil so viele an der literarischen Preiswürdigkeit seiner Bücher zweifeln – das wird bei Durchsicht der Reaktionen auf die Kür vom Donnerstag deutlich. Sondern aufgrund des Standpunkts, den der Autor im Jugoslawienkrieg einnahm.

Der britische Guardian zitiert die Schriftsteller Salman Rushdie ("Idiot des Jahres"), Miha Mazzini ("naiv") und Hari Kunzru ("ethisch blind"). Die New York Times spricht von einem "nach rechts tendierenden Autor" und zitiert Jennifer Egan vom amerikanischen PEN-Club: Man sei sprachlos ob des Preises für einen Autor, dessen öffentliche Äußerungen die historische Wahrheit untergraben und Beistand für die Täter liefern – besonders in einer Zeit wachsenden Nationalismus, autokratischer Herrscher und weitver breiteter Desinformation.

In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien wechselt die Stimmung zwischen Kritik und Feierlaune. In Bosnien-Herzegowina nennt die Opferorganisation "Mütter von Srebrenica" den Schriftsteller etwa einen "Leugner des Genozids in Srebrenica", die serbische Tageszeitung Novosti tönt dagegen euphorisch: "Gerechtigkeit für Serbien, Nobel für Handke".

"Ich kenne die Wahrheit auch nicht"

Ab 1996 hat Handke die Öffentlichkeit gehörig irritiert. Damals erschien Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Im Spätherbst 1995 war Handke durch die kriegsversehrten Länder des ehemaligen Jugoslawien gereist und beschreibt in dem Bericht seine Eindrücke von Land und Leuten. Dass er Mitgefühl für die serbische Seite empfand und später das Nato-Bombardement auf Serbien verurteilte, wurde ihm als politische Parteinahme vorgeworfen. Seinen Höhepunkt fand das allgemeine Unverständnis, als Handke 2006 zur Beerdigung des als Kriegsverbrecher wegen Völkermords angeklagten Slobodan Milošević reiste und dort eine Rede hielt. Handke verstieß damit gegen Tabus.

Wenn man Handkes Argumentation folgt, tat er dies nicht trotz der Tabus, sondern wegen diesen. Er wollte einer Welt, die vermeintlich die Wahrheit kannte, die alles über Milošević und den Krieg zu wissen glaubte und dennoch nicht anwesend war, widersprechen. "Ich kenne die Wahrheit auch nicht. Aber ich schaue. Ich empfinde. Ich frage", erklärte er damals ohne Rechthaberei.

Diese Art der Wahrnehmung aus erster Hand, erstem Auge und erstem Ohr sind unabdingbar für die Literatur von Peter Handke. Er versucht stets, sich dem Vorgefertigten zu entziehen. Seine Verweigerungshaltung gegenüber gängigen Urteilen über die Welt kommt aus seinem Zweifel gegenüber dem, was alle sagen. Abgegriffene Worte sind Handke ein Graus. Wer wie Handke an der allgemein verwendeten Sprache zweifelt, muss notgedrungen an der Welt zweifeln, die abzubilden sie vorgibt.

Gegen die dominierende Rede

Was Handke als Geschichtsrelativismus oder Leugnung vorgewofen wird, kann als Konsequenz dieser seiner Scheu gegen dominierende Redeweisen gelten, das legen zahlreiche Auskünfte des Autors nahe. Im Sprechen über politische Zustände wollte er den Mainstream genauso wenig hinnehmen wie in der Literatur.

Je mehr die Medien, die Handke oft harsch kritisierte ("Woher weiß dieses Arschloch von Journalist, dass Miloševićs Heimatstadt seelenlos ist?"), ihre Erzählung von Gut und Böse vorantrieben, desto mehr suchte er den anderen Blick und hielt damit dagegen.

Jugoslawien war für Handke wohl aufgrund seiner Herkunft ein Arkadien. Ohne die totalitären Elemente hätte er es sich als ein Modell für ein multikulturelles Europa vorstellen können, sagte er einmal. Dass Handke sich in seinem "schriftstellerischen Trotz" und Lust an der Provokation in manch problematische Aussage verrannte, ist Teil der Geschichte. Dass viele ihn falsch verstehen wollten, auch.

Bis zum "Faschist" reichen die auf Twitter Handke zugedachten Attribute. Autor Saša Stanišić kritisiert die Entscheidung. Vladimir Vertlib, der Handkes politische Haltung "widerwärtig" findet, weist aber darauf hin, dass das literarische Werk des Autors "das eines großen Humanisten" sei.

Doch zurück zur Schwedischen Akademie. Der ständige Sekretär Mats Malm erklärte, es sei nicht Sache der Akademie, Literatur gegen Politik abzuwägen. Das hat die Akademie im Fall Handke nicht gemacht. In der Vergangenheit war sie nicht davor gefeit. (Michael Wurmitzer, 11.10.2019)