Literaturwissenschafterin Pia Janke hat mit einer Arbeit über Peter Handke promoviert.

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Peter Handke ist Literaturnobelpreisträger 2019.

APA / AFP / Alain Jocard

Er wäre schon vor ihr dran gewesen – so äußerte sich Elfriede Jelinek zur Vergabe des Nobelpreises an Peter Handke. Literaturwissenschafterin Pia Janke kennt sich mit beiden aus: Sie ist Leiterin der Forschungsplattform Elfriede Jelinek der Uni Wien, promoviert hat sie mit einer Arbeit über Peter Handke.

Standard: Schon lange wurde Handke als Nobelpreisträger gehandelt – wieso hat es so lange gedauert?

Janke: Das hat sicherlich mit seiner Positionierung zum Krieg in Serbien zu tun. Wobei das meiner Meinung nach ein Missverständnis war. Im Grunde genommen ging es ihm um sein großes Thema, nämlich wie mit Sprache, durch Medien, Wirklichkeit geprägt und manipuliert wird. Darum, welche Bilder von diesem Krieg erzeugt und transportiert wurden. Er ist nach Serbien gefahren, um das in den Blick zu bekommen, was die medialen Bilder ausgeblendet haben.

Standard: Wie hat Handke die österreichische und europäische Literatur geprägt?

Janke: Er befragt das Medium der Literatur, die Sprache, und lotet deren Möglichkeiten aus. Was kann Literatur? Sein großes Thema ist: Wie prägt Sprache das Bewusstsein? Das zu reflektieren, macht für ihn Literatur aus. Handke hat neue Formen des Erzählens, der Dramatik etabliert. Ich würde fast sagen, dass er – mit Publikumsbeschimpfung – einer der ersten Postdramatiker war. Eine Infragestellung der dramatischen Konventionen und theatralen Traditionen hat er schon in den 1960er-Jahren vorgenommen. Auch wenn er sich selbst nicht als Dramatiker, sondern eher als Epiker bezeichnen würde.

Standard: Bereits kurz nach Bekanntgabe wurden Stimmen laut, die die Auszeichnung Handkes aufgrund der Serbien-Kontroverse als "bizarr" bezeichneten. Dabei wurde Handke vorgeworfen, ein unpolitischer Autor zu sein.

Janke: Ich sehe seinen Anspruch, die öffentliche Sprache kritisch zu hinterfragen, als einen sehr politischen. Gerade heute, wo das Bild die Sprache zunehmend ablöst, vereinfachende Sprache verwendet wird, ist das immens wichtig. Da trifft er sich mit Jelinek. Auch ihr geht es um eine differenzierende Sprache, die jene der Mäch tigen zu dekonstruieren versucht. Beide geben dem, was im herrschenden Diskurs nicht vorkommt, einen Ort. Bei Handke ist es das Unscheinbare, vermeintlich Kleine. Bei Jelinek sind es die Ausgegrenzten. Das ist eine Form von Widerstand, geübt mit Sprache.

Standard: Wie ähnlich sind sich Handke und Jelinek?

Janke: Ihre kritische Haltung zur Sprache eint sie, aber sie finden unterschiedliche Lösungen. Bei Jelinek kommt es zu einer Dekonstruktion von ideologischer Sprache, bei Handke ist es eine Reinigung. Eine Herstellung von Leere, Offenheit. Er schafft einen Raum, in dem es möglich wird, eine positive Zusammenführung von Sprache und Welt herzustellen.

Standard: Repräsentieren die beiden Preisträger eine österreichische Literaturtradition?

Janke: Beide stehen in der großen Tradition der Sprachkritik. Unmittelbaren Einfluss hat die Wiener Gruppe. Wichtiger Bezugspunkt ist auch die Sprachphilosophie eines Ludwig Wittgenstein, literarisch kann man zurückgehen bis zu Hofmannsthal und Nestroy. Oft geht es um das Spiel mit der Sprache, zugleich aber auch um die Kritik an ihr. Die Frage, wie man aus einem Verstummen, wie es bei Hofmannsthal im Chandos-Brief Thema war, wieder heraus- und zu einer neuen Sprache finden kann. Das ist etwas typisch Österreichisches, aber es ist zugleich Weltliteratur. Beide beziehen sich auf die große Literaturtradition von der Antike über Goethe bis hin zu Kafka.

Standard: Sind die Reaktionen bei Peter Handke andere als 2004 bei Elfriede Jelinek?

Janke: Sie wurde damals von deutschen Kritikern als Provinzautorin bezeichnet. Auch in Österreich herrschte Irritation. Die Kronen Zeitung begann sofort mit der Vereinnahmung: "Nobelpreis für Obersteirerin". Andererseits wurde das auch ganz stark als Preis gegen Österreich wahrgenommen. Bei Handke ist es nicht so polarisiert, wobei die Serbien-Thematik sicherlich weiter eine Rolle spielen wird. Es ist eine Würdigung. Aber beide waren auch vorher bereits zentrale Figuren in der heimischen Literatur. (Andrea Heinz, 12.10.2019)