STANDARD: Die FPÖ hat sich vorläufig selbst aus dem Spiel genommen und will nicht mehr sondieren. Kann es sein, dass am Ende aller Sondierungs- und Koalitionsgespräche dann doch wieder mit der FPÖ gesprochen und verhandelt wird?

Kurz: Ich werde sicherlich mit Norbert Hofer in Kontakt bleiben, insbesondere auch was die Zusammenarbeit im Parlament betrifft. Dass die FPÖ sagt, dass sie das Wahlergebnis nicht als Regierungsauftrag sieht und den Weg in die Opposition vorbereitet, muss ich zur Kenntnis nehmen.

Inhaltliche Details will Sebastian Kurz mit den Parteichefs, nicht mit den Medien verhandeln.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Bei allen Vorfällen und Einzelfällen, die es mittlerweile in der FPÖ gegeben hat, läge es nicht an Ihnen, die FPÖ als Koalitionspartner auszuschließen? Sie halten sich diese Option immer noch offen.

Kurz: Ich halte mich an das, was ich vor der Wahl meinen Wählerinnen und Wählern versprochen habe, nämlich mit allen Parteien eine gute Zusammenarbeit zu suchen, mit allen Parteien Gespräche zu führen und niemanden, der demokratisch gewählt ist, auszuschließen. Die FPÖ hat aber von sich aus gesagt, dass sie den Weg in die Opposition beschreitet.

STANDARD: Im Augenblick scheinen die Grünen nicht nur eine mögliche, sondern die wahrscheinliche Koalitionsoption zu sein. Wie kompromissbereit ist denn die ÖVP? Wenn man sich anschaut, wie weit die beiden Parteien inhaltlich auseinander liegen, fragt sich doch jeder, wie sich das ausgehen soll. Wie weit kann die ÖVP den Grünen entgegenkommen?

Kurz: Bei allem Respekt, aber ich glaube, Sie wissen, dass Koalitionsverhandlungen nicht über die Medien geführt werden können, und insofern werde ich inhaltliche Fragen nur mit Werner Kogler und den anderen Parteichefs in den Sondierungsgesprächen und dann in den Regierungsverhandlungen besprechen. Ich werde sicherlich nicht über die Medien Verhandlungen führen. Klar ist, dass es mit jeder Partei inhaltliche Überschneidungen und auch Gegensätze gibt. Mit manchen gibt es mehr Überschneidungen, mit anderen weniger.

STANDARD: Bei den Grünen liegt’s auf der Hand. Da gibt’s weniger Überschneidungen.

Kurz: Das ist die Herausforderung, vor der wir alle, und vor allem wir als Volkspartei – ausgestattet mit einem Regierungsbildungsauftrag – in den nächsten Wochen und Monaten stehen.

Die Verhandlungen mit den Grünen bezeichnet Kurz als Herausforderung.
Foto: Cremer

STANDARD: Mit welcher Partei sehen Sie denn die größten Überschneidungen, abgesehen von der FPÖ, die sich ja selbst aus dem Rennen genommen hat?

Kurz: Ich habe mit allen vier Parteichefs eine sehr gute Gesprächsatmosphäre …

STANDARD: Das war nicht die Frage.

Kurz: Ich darf es vielleicht so beantworten, wie ich es für richtig erachte. Ich habe mit allen vier Parteichefs eine sehr gute Gesprächsatmosphäre gehabt. Wir haben mit allen Parteien auch über die Frage des Umgangs miteinander gesprochen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass nach diesem teilweise schmutzigen Wahlkampf die politische Kultur im Umgang miteinander wieder besser wird. Und wir haben natürlich auch schon in dieser ersten Runde, soweit das möglich war in der begrenzten Zeit, über inhaltliche Fragen gesprochen. Und da gibt es mit jeder Partei Überschneidungen und mit jeder Partei Trennendes. Ab Mittwoch werde ich diese Gespräche in größerer Gruppe fortsetzen, damit man in der jeweiligen Partei auch ein Gefühl für die handelnden Akteure um den Parteichef herum bekommt. Natürlich werden wir auch etwas tiefer über inhaltliche Fragen sprechen.

STANDARD: Wenn Sigi Maurer jetzt an der Seite von Werner Kogler auftaucht, was wäre das für ein Zeichen?

Kurz: Weder ein Zeichen noch kein Zeichen. Ich lade zu einem Sondierungsgespräch ein und mache einen Vorschlag, wie groß die Gruppen sein sollen. Und jeder Parteichef entscheidet für sich.

STANDARD: Ich frage deshalb, weil Sigi Maurer in einer TV-Konfrontation zwischen Ihnen und Norbert Hofer als linkes Schreckgespenst herhalten musste.

Kurz: Also ich war bei der Fernsehdiskussion dabei, ich habe es anders in Erinnerung. Hofer hat gesagt, wie wird das sein, wenn sie Innenministerin wird, und ich hab gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Innenministerin wird. So habe ich es in Erinnerung.

STANDARD: Für viele hat Türkis-Grün Charme, weil es die Koalition der Wahlsieger wäre. Es gibt viele Stimmen in der ÖVP, die sich dafür aussprechen. Erkennen sie diesen Charme auch?

Kurz: Bei uns hat sich weder jemand für noch gegen etwas ausgesprochen, sondern wir haben als Volkspartei für uns ganz klar besprochen, dass wir das machen, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, nämlich, mit allen im Parlament vertretenen Parteien Gespräche zu führen und auszuloten, ob es Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit gibt. Nach dieser ersten Runde kann ich ihnen sagen, es gibt drei Parteien – nämlich die SPÖ, die Grünen und die Neos – die mir signalisiert haben, dass sie prinzipiell gerne in einer Bundesregierung gestalten würden. Und es gab die Freiheitlichen, die klar gesagt haben, dass sie sich derzeit auf die Opposition vorbeireiten. Das ist der Status quo. Wir vertiefen jetzt diese Gespräche und werden versuchen, uns als Volkspartei bestmöglich ein Bild zu machen, wie wir eine stabile, handlungsfähige Regierung bilden können, die auch die Kraft hat, sich den großen Zukunftsherausforderungen für unser Land zu widmen. Nämlich alles zu tun, damit die schlechte Konjunktursituation in Deutschland uns nicht mit voller Härte trifft, die Arbeitslosigkeit in Österreich nicht massiv steigt. Zum zweiten die Steuerentlastung weiter vorantreiben, damit arbeitenden Menschen einfach mehr zum Leben überbleibt. Zum dritten der konsequente Kampf gegen illegale Migration. Zum vierten der Kampf gegen den Klimawandel und zum fünften die Umsetzung der notwendigen Reformen, damit Sozialstaat und Wirtschaftsstandort in Österreich weiter stabil und gut aufgestellt sind. Das alles und noch einiges mehr gilt es zu bewältigen als nächste Bundesregierung. Und jetzt arbeiten wir daran, eine Regierung zu bilden, die auch die Kraft hat, diesen Aufgaben gerecht zu werden.

Kurz in seinem Büro in der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse.
Foto: Cremer

STANDARD: Ist es prinzipiell denkbar, dass man mit einem Partner mehrere sogenannte Leuchtturmprojekte definiert und eben auch diese Punkte einbezieht und andere Bereiche offen lässt, zum Beispiel die Bildung? Oder muss alles durchgeregelt werden?

Kurz: Wir haben noch nicht einmal mit Regierungsverhandlungen gestartet, sondern sind gerade am Anfang einer Sondierungsphase. Ich glaube, dass wär zu früh über so etwas öffentlich nachzudenken. Vor allem ist das auch eine Entscheidung, die nicht einer alleine treffen kann.

STANDARD: Die Frage war nur, ob es prinzipiell denkbar ist.

Kurz: Es ist zu früh, darüber zu philosophieren.

STANDARD: Sie weigern sich, rote Linien und Koalitionsbedingungen zu nennen. Alle anderen Parteien haben schon Bedingungen oder rote Linien für sich definiert. Warum wehren Sie sich so dagegen?

Kurz: Ich bitte Sie, zu respektieren, dass ich das mit den Parteichefs direkt bespreche und ihnen nicht über die Medien etwas ausrichten will. Aber die inhaltliche Richtung ist ohnehin klar.

STANDARD: Ist eine CO2 Steuer, die Sie im Wahlkampf abgelehnt haben, die den Grünen aber ganz wichtig ist, ein No-Go?

Kurz: Ich glaube, Sie kennen mich, wenn Sie meine Arbeit bisher beobachtet haben. Ich habe eine sehr klare Meinung, ich habe eine sehr klare Haltung in den meisten Politikfeldern und einen ganz klaren Kurs. Für den stehe ich und dieser Kurs ist von 37,5 Prozent der Menschen in Österreich gewählt worden. Andere Parteien haben andere Programme, andere Überzeugungen und auch die sind von den Menschen zu einem gewissen Prozentsatz gewählt worden. Und in Verhandlungen – egal, mit welcher Partei, rot, grün, pink oder blau – geht es immer darum, Kompromisse zu finden. Das ist die Aufgabe von Sondierungs- oder Regierungsverhandlungen.

STANDARD: Man kennt Ihre Position bei der Mindestsicherung, und man kennt die Position der Grünen. Da ist ein Kompromiss ganz schwer vorstellbar. Entweder der eine oder der andere gibt nach.

Kurz: Bei allem Respekt für den STANDARD, Sondierungsgespräche führe ich mit den Vertretern der Parteien und nicht mit den Vertretern der Medien.

STANDARD: Sie haben im Wahlkampf gesagt, das Innenministerium soll wieder in ÖVP- Hand sein. Gilt das noch und welche Ressorts sind für die ÖVP unverzichtbar?

Kurz: Noch einmal: Sondierungsgespräche mit anderen Parteien können dann konstruktiv und bestmöglich stattfinden, wenn in den Verhandlungen miteinander gesprochen und nicht über die Medien verhandelt wird. Und nachdem das Wahlergebnis neben der Freude auch eine große Verantwortung mit sich bringt, möchte ich einfach mein Bestes geben, damit diese Sondierungsgespräche in einer hohen Qualität, aber auch zügig stattfinden können. Das ist dann gewährleistet, wenn man vertrauensvoll mit den Chefs der anderen Parteien umgeht. Dazu gehört, nichtöffentliche Gespräche nicht öffentlich zu machen und sich nicht über die Medien etwas auszurichten. Das war immer mein Stil und das werde ich auch jetzt in diesem Interview nicht ändern.

STANDARD: Dann etwas unverbindlicher: Wie groß werden denn die Verhandlungsteams sein, wie sehr wird in diesen Sondierungsgesprächen ins Detail gegangen?

Kurz: Ich werde weiterhin auf Vieraugengespräche setzen, darüber hinaus werde ich aber auch größere Konstellationen vorschlagen. Wir werden ab Donnerstag daher auch in Zwölferrunden zusammenkommen, um Sachfragen tiefer gehend miteinander zu erörtern, aber auch um ein Gefühl für die handelnden Akteure in den unterschiedlichen Parteien zu bekommen.

STANDARD: Weil das alles offenbar länger dauern wird, haben die Grünen angeregt, im Parlament schon vorher einige Dinge anzugehen. Unter anderem die Reform des Parteienfinanzierungsgesetzes, bei dem eine strenge Rechnungshofkontrolle und strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen kommen sollen. Ist die ÖVP da mit im Boot, wenn es eine Initiative gibt?

Kurz: Jetzt muss sich das neue Parlament erst einmal konstituieren, das findet am 23. Oktober statt. Es ist in der Phase vor der Wahl teilweise unverantwortlich viel Geld ausgegeben worden und unser Budget massiv belastet worden. Das sogenannte freie Spiel der Kräfte hat unser Budget schwer belastet. Wir können uns als Volkspartei natürlich vorstellen, dass im Parlament auch während der Regierungsverhandlungen Beschlüsse gefasst werden. Wir glauben aber, dass auf keinen Fall jetzt noch mehr Geld ausgegeben werden sollte, weil das Budget ohnehin durch die Beschlüsse vor der Wahl mehr als belastet ist.

STANDARD: Das wäre bei den Parteifinanzen nicht der Fall.

Kurz: Dazu wollte ich gerade kommen. Wir wollen schärfere Kontrollen und Sanktionen bei den Parteifinanzen, daher werden wir uns auch einer guten Lösung nicht verschließen. Ich glaube, der Fokus aller sollte momentan schon darauf liegen, schnell eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Wir erleben, dass sich in Deutschland die Wirtschaft gerade alles andere als gut entwickelt. Das wird uns in Österreich bald massiv betreffen. Darauf müssen wir uns vorbereiten, da braucht es eine handlungsfähige Regierung. Hier liegt mein absoluter Fokus.

STANDARD: Wenn Neos oder Grüne etwas einbringen …

Kurz: … dann wird unser Klub sich damit beschäftigen und wir werden versuchen, einen Kompromiss zu finden. Aber first things first – wichtig ist jetzt einmal die Bildung einer handlungsfähigen Regierung.

STANDARD: Apropos Parteifinanzen: Sind die Wahlkampfkosten schon abgerechnet?

Kurz: Dafür ist es noch zu früh, der Wahlkampf ist gerade einmal zwei Wochen her. Die Wahlkampfkosten sind natürlich noch nicht endgültig abgerechnet, weil das ein riesiger Aufwand ist, alle Rechnungen von Bund, Länder und Gemeinden durchzugehen.

STANDARD: Wissen Sie schon, ob Sie diesmal die gesetzliche Obergrenze eingehalten haben?

Kurz: Ja! Ich würde Sie ersuchen, nachdem im Wahlkampf ja immer wieder das Gerücht verbreitet wurde, die ÖVP würde die Wahlkampfkostenobergrenze überschreiten, dass Sie sich alle unabhängigen Studien anschauen, die es gegeben hat zu den Wahlkampfausgaben der unterschiedlichen Parteien. Dann werden sie feststellen, dass bei all diesen Erhebungen zur Frage der Inserate aber auch der Social Media Werbung die ÖVP nicht am ersten Platz gelegen ist, sondern andere Parteien mehr ausgegeben haben.

STANDARD: Wir befassen uns ohnedies mit den Finanzen aller Parteien.

Kurz: Um es zum Punkt zu bringen: Wir waren in diesem Wahlkampf mit vielen falschen Vorwürfen konfrontiert. Wir haben auch teilweise rechtliche Schritte gegen diese falschen Vorwürfe eingeleitet. Das Gute ist, die Wahrheit kommt immer ans Licht. Es gibt mittlerweile mehrere unabhängige Erhebungen, wie viel die unterschiedlichen Parteien in diesem Wahlkampf ausgegeben haben. Bei all diesen unabhängigen Erhebungen ist herausgekommen, dass sowohl im Onlinebereich als auch bei Inseraten und Fernsehwerbung von anderen Parteien deutlich mehr ausgegeben wurde als von der ÖVP.

STANDARD: In der Endabrechnung wird die ÖVP nicht mehr als sieben Millionen ausgegeben haben, ist das richtig?

Kurz: Davon gehe ich aus, denn das war unser Ziel. (Michael Völker, 13.10.2019)