Adam Krzeminski beobachtet die polnische Politik schon lange.

Foto: Matthias Cremer

Rechtsnationale Werte, ein konservatives Familienbild, Ablehnung liberaler Eliten und eine Justizreform, die laut Kritikern die Gewaltenteilung untergräbt: Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) polarisiert – und spricht ihren meist katholischen Stammwählern damit aus der Seele.

STANDARD: Seit vier Jahren ist die PiS an der Macht und erfreut sich großer Beliebtheit. Wie schätzen Sie die Stimmung im Land ein?

Krzeminski: Was in Polen passiert, ist Teil der großen nationalkonservativen Konterrevolution, die derzeit in vielen EU-Ländern, aber auch in den USA und in Russland im Gange ist. Es ist eine Konterrevolution gegen die Ideen des Jahres 1989. Wenn man etwa Michail Gorbatschow mit Wladimir Putin vergleicht, oder George Bush sen. mit Donald Trump, dann weiß man, was ich meine. Supranationale Verbindungen, Versöhnung mit den Nachbarn und liberale Staatsauffassungen treten in den Hintergrund. Zum Teil betrifft das ja auch Österreich.

STANDARD: Was ist im Rahmen dieser Diagnose das spezifisch Polnische?

Krzeminski: Mit der PiS ist eine Generation am Ruder, die vor 30 Jahren nicht in der ersten Reihe der oppositionellen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc war und nicht mit am Runden Tisch saß. Es gibt in der Partei viele 40- bis 50-jährige Karrieristen, die mit alt-neuen Parolen des "nationalen Egoismus" und des "Austausches der postkommunistischen Eliten" zum Zug gekommen sind. Das eigentliche Feindbild sind gar nicht die ehemaligen Kommunisten, sondern vor allem die liberaldemokratischen Gründerväter der "Dritten Republik", also etwa Expräsident Lech Walesa oder Expremier Tadeusz Mazowiecki – für ihr angebliches Techtelmechtel mit den KP-Reformern.

STANDARD: Viele haben mit dieser Haltung der PiS aber offenbar kein Problem, Umfragen sagen der Partei einen hohen Wahlsieg voraus.

Krzeminski: Ich vertraue den Umfragen nicht so recht. Wir können zwar davon ausgehen, dass die PiS wieder stärkste Partei wird, aber es ist nicht gesagt, dass sie auch koalitionsfähig ist. Es könnte durchaus sein, dass die Opposition, wenn sie ihre Kräfte vereint, die Oberhand gewinnt.

STANDARD: Selbst wenn die PiS keine absolute Mehrheit bekäme: Ist eine Zusammenarbeit der zersplitterten Opposition vorstellbar?

Krzeminski: Es wären verschiedene Varianten möglich, auch eine PiS-Minderheitsregierung. Die PiS wäre ja zunächst wohl im Vorteil, weil auch Präsident Andrzej Duda ihr Parteisoldat ist. Die Opposition hat aber dazugelernt, ist nicht zerstritten. Ich würde also auch eine Koalition der liberalen Bürgerplattform mit den Linken nicht ausschließen.

STANDARD: Hat die PiS nicht vor allem wegen der von ihr eingeführten Sozialleistungen Rückenwind?

Krzeminski: Zum Teil ja, aber man weiß inzwischen, dass das Geld hinten und vorne nicht ausreicht – etwa für die Sanierung des Gesundheitswesens, das sich in einer katastrophalen Lage befindet. Einerseits vergibt man großzügig Sozialleistungen als Wahlgeschenke, gleichzeitig vernachlässigt man Berufsgruppen, die für die Gesellschaft von elementarer Bedeutung sind – etwa Lehrer, Ärzte oder Krankenpfleger. Kein Wunder, dass viele nach Westeuropa gehen. Manche Krankenhäuser müssen ganze Abteilungen schließen. Dazu kommen diverse Korruptionsaffären. Trotz der Geldgeschenke sorgen also Unfähigkeit und dumpfe Staatsideologie auch für Enttäuschungen.

STANDARD: Apropos Abwanderung: Beim Thema Migration gibt es auch den Aspekt der restriktiven Asylpolitik Polens.

Krzeminski: Ja, und gleichzeitig benötigen wir immer mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland. Seit der letzten Wahl vor vier Jahren sind fast 1,5 Millionen Menschen – vornehmlich aus der Ukraine, aber auch aus Asien – nach Polen gezogen. Und das unter der Regierung einer Partei, die gegen jede Aufnahme von Flüchtlingen ist.

STANDARD: Kommen wir zur umstrittenen Justizreform: Besteht nicht die Gefahr, dass das Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU gegen Polen kontraproduktiv ist, weil die Regierung sich als Opfer Brüssels darstellen kann?

Krzeminski: Es ist schon wichtig, dass es dieses Verfahren gibt. Immerhin geht es um die grundsätzliche Frage der Gewaltenteilung. Das Problem begann schon 2016, als das Verfassungsgericht durch Neubesetzungen staatsstreichartig außer Kraft gesetzt wurde. Aber gleichgeschaltet ist die Justiz deshalb nicht. Es gibt immer noch viele unabhängige Richter in Polen. Und die Affäre im Justizministerium, wo kritische Richter mit einer vom Vizeminister geleiteten Verleumdungskampagne verfolgt wurden, ist noch lange nicht ad acta gelegt.

STANDARD: Bereitet Ihnen das, was Sie eingangs als nationale Konterrevolution bezeichnet haben, eigentlich Sorgen?

Krzeminski: Kurz und mittelfristig schon. Langfristig aber teile die Bedrückung meiner jüngeren Kollegen nicht. Manche von ihnen meinen, wenn die PiS jetzt gewinnt, dann bleibt sie – wie Parteichef Jaroslaw Kaczynski schwadroniert – noch 20 Jahre an der Macht. Aber ich habe schon mehrere Winkelzüge der Geschichte erlebt und bin durchaus auch auf kurzfristige Überraschungen gefasst. (INTERVIEW: Gerald Schubert, 13.10.2019)