Annick Prisca Agbadou als Marianne in "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Alex Gotter

So g'schmackig, wie der Hallodri Alfred in Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald da draußen in der Wachau frühstückt – das ist ansteckend. Es verleitet den Performer Franck Edmond Yao zu der Annahme, die Österreicher stünden auf Qualität. Frisches Wasser, gute Luft, knuspriges Brot! Doch die scheinbare Idylle wird sogleich von Oma getrübt; sie keift, weil ihr jemand die saure Milch weggetrunken hat.

Dieses einprägsame Bild aus Horváths Theaterstück wird im Werk X (ehemals Kabelwerk), wo es Monika Gintersdorfer inszeniert hat, nur erzählerisch eingefangen. Immerhin aber musikalisch und kommentierend begleitet von Natalie Ofenböck und dem Nino aus Wien. Doch nicht nur das ist bemerkenswert. Gintersdorfers Theater, das immer in Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Knut Klaßen entsteht, operiert seit gut zehn Jahren ausschließlich mit transkulturellen Fragestellungen.

Körper-Klischees

Das heißt, sie nimmt sich Werke des westlichen Theaterkanons zur Brust und klopft sie mit ihrem vorwiegend aus ivorischen Performern bestehendem Kollektiv auf die den Texten eingeschriebenen Codes ab. Damit ist sie zuletzt im Fall von Mozarts Entführung aus dem Serail bei den Wiener Festwochen 2017 hervorragend gescheitert. Auch weil so immer wieder Klischees verfestigt werden: Personen of Color als Akrobatikfachkräfte. Das ist nun wieder so.

Die ivorischen Akteure eignen sich diesmal also den Horváth-Klassiker an. Das geht vorwiegend im Moderationston vonstatten. Schauspieler Hauke Heumann streut Wissenswertes aus der Sekundärliteratur ein. Franck Edmond Yao erzählt das Drama nach. Von den (prä-)faschistischen Stimmungen in der Bevölkerung, dem menschenverachtenden Ton und dessen zunächst unauffälliger Verpackung. Momenthaft übernimmt er die Rolle des Alfred. Es wird gehüpft und getanzt. So hat man die Geschichten wahrlich noch nicht gesehen.

Hintern schaukeln, Beine fliegen

Denn: Angelpunkt der Inszenierung ist der Begriff "rhythmische Gymnastik", eine Betätigung, mit der sich Marianne vom erstickenden Leben der 1930er-Jahre freimachen wollte. Aber die Familie hatte keinen Sinn dafür. Diese Geschichte der Unterdrückung fokussiert Gintersdorfer - mit körperlichen Befreiungsschlägen. Die Hintern schaukeln, die Beine schwingen. Das erzeugt so hervorragende Szenen wie die, wenn Marianne ihren gymnastischen Traum lebt und auf die Frage, ob sie es bereut, ein Kind bekommen zu haben, tänzelnd ins Mikrofon singt: "No, no, no".

Marianne (Annick Prisca Agbadou) lachte sich nämlich anstelle des faden Fleischers Oskar lieber den nichtsnutzigen Alfred an, wurde schwanger, musste strippen gehen und wird schließlich im Klima der Verrohung vor die Hunde gehen. Es fehlt an Geld, und für Oma ist ein ungetauftes Kind inakzeptabel. Idyllisches Österreich! Der Rest ist Improtheater. Der Nino aus Wien spitzt in depressiv-gummihafter Manier das Wiener Idiom nach: "Draffiggantin". Das Zusammenspiel von Wiener Slang und ivorisch-französischem Timbre gipfelt in einem Trinklied im Set-up. Noch schöner aber war: "Jeder hat seinen Traum / aber wahr wird er kaum." (Margarete Affenzeller, 12.10.2019)