Das nackte Leben im Wiener sozialen Wohnungsbau: "Haummas net sche?" nach Christine Nöstlinger.

Foto: Lupi Spuma/Volkstheater

Die "Welthauptstadt des öffentlichen Wohnbaus" Wien strotzt vor geschichtsträchtigen Räumen und Institutionen. Damit beschäftigte sich auch eine der bekanntesten Töchter der Stadt, Christine Nöstlinger. Die Autorin zeigt in ihrem sozialkritischen Werk mithilfe von Figuren wie dem Gurkenkönig oder der Feuerroten Friederike sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte des Sozialbaus auf. Regisseurin Sara Ostertag verpackt Nöstlingers Geschichten nun in einem raumübergreifenden Theater-Parcours.

In Haummas net sche? verschwimmen die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum, Geschichte und Gegenwart. Der Begriff Theaterparcours ist wörtlich zu nehmen. Beinahe sämtliche zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und Bühnen der Volkstheater-Nebenspielstätte Volx/Margareten werden einbezogen, besungen und betanzt. Auch eine leerstehende Sozialbauwohnung außerhalb des Theaters ist Teil des Stücks.

Zufallserlebnisse auf den Bühnen

Das Ensemble tanzt sich in den Wahn
Foto: Lupi Spuma/Volkstheater

Nach dem Zufallsprinzip bekommt das Publikum einen Parcours zugewiesen, in dem es zusammen mit den Darstellenden die Welt aus der Feder Nöstlingers bereist. Je nachdem, welchen Theatermarathon man erwischt, werden auch verschiedene Facetten der vielschichtigen Wiener Marotten gezeigt. Innehalten und die belebte Geschichte einatmen, lautet die Devise.

Zu Beginn erschlägt einen aber die Textfülle an sozialistischen Parolen und existenzialistischen Fragen, gepaart mit einer vorgeführten unmenschlich-technokratischen Verwaltungssprache. Grandios ist daher der Einfall, diese absurde Beamtenrhetorik über einen live gespielten Drumbeat zu rezitieren.

Lebendige Geschichte

Die Bewohnerinnen und Bewohner Wiens stellen das Zusammenleben infrage
Foto: Lupi Spuma/Volkstheater

Auch die Darstellungsformen wirken wie ein Ritt durch die Geschichte. Nebst Videoinstallationen präsentiert das zum Teil aus Laien bestehende Ensemble sein komödiantisch-dramatisches Können in Performancekunst, als One-Woman-Shows sowie als Tanzgruppe. Untermalt wird dieses Sammelsurium an Spielfreude mit von Kathrin Kolleritsch und Paul Plut vertonten Gedichten Nöstlingers und alten Arbeiterliedern als 20er-Jahre-Chansons, 80er-Synthie-Pop oder Rap. Hervorzuheben ist auch das große Altersspektrum der Spielwütigen.

Einen kritischen Blick auf die Sozialpolitik der letzten hundert Jahre zu werfen, ließ man sich dann auch nicht nehmen. Dennoch bleibt die Frage: "Haummas net sche?" Aber hallo. (Huy Van Jonny Diep, 11.10.2019)