Der "Weiße Stein von Zogelsdorf" ist in vielen barocken Prunkbauten zu finden. Unter anderem in den Skulpturen im Stiegenhaus des einstigen Winterpalais' von Prinz Eugen. Sinnigerweise jenes Zogelsdorf, aus dem die mütterliche Familienseite von Sebastian Kurz stammt.

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Ab Donnerstag wird im Winterpalais wieder verhandelt. Um 10 Uhr ist als erste Partei die SPÖ bei ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und seinem Team zu Gast. Und es ist tatsächlich so etwas wie das Privatvergnügen der ÖVP: Das Winterpalais in der Himmelpfortgasse 8 gehört zum Finanzministerium, die ÖVP hat es auf eigene Kosten gemietet – und zwar für die Dauer der Sondierungs- und Koalitionsgespräche. Da Kurz (noch) nicht Kanzler ist, kann er auf keine Immobilien der Republik zurückgreifen, in die er die anderen Parteichefs einladen könnte, und in die Räumlichkeiten der Volkspartei wollte man aus naheliegenden Gründen niemanden bitten.

Hinter der cremefarbenen Tapetentür (vermutlich nicht ganz zufällig hinter den beiden Flaggen versteckt), die man in Rot aus der Hofburg gut kennt, wartet nicht der Bundespräsident, sondern ganz banal ein WC. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wird am Donnerstag den Gesprächsreigen bei ÖVP-Chef Sebastian Kurz eröffnen.
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Warum ausgerechnet das Winterpalais von Prinz Eugen von Savoyen in der Himmelpfortgasse im ersten Bezirk? Weil es frei und verfügbar war, wie es heißt. So viele Möglichkeiten gebe es in der Innenstadt in Reichweite der Parteizentralen nicht. Außerdem seien die Räumlichkeiten flexibel, man könne Zweiergespräche abhalten, aber auch größere Gruppen unterbringen, es gebe Räume für die Mitarbeiter, und man könne sich die Journalisten vom Leib halten.

Berühmter weißer Kalksandstein

Dass es tatsächlich einen sehr engen Bezug zu Sebstian Kurz und seinem zweiten Heimatort Zogelsdorf gibt, weiß vermutlich nicht einmal er selbst. Wir klären auf: Jedes Mal, wenn Kurz in den nächsten Wochen und Monaten durch das Stiegenhaus des opulenten barocken Stadtpalasts schreitet und den ruhenden Herkules passiert, ist er dem Waldviertler Heimatort seiner Mutter ganz nah. Denn die Skulpturen, die unter anderem die Prunktreppe tragen, wurden vom italienisch-österreichischen Bildhauer Giovanni Giuliani aus Zogelsdorfer Stein gehauen. Dieser hauptsächlich in Zogelsdorf bei Eggenburg im Waldviertel abgebaute Kalksandstein wurde ab der Bronzezeit bis ins 20. Jahrhundert verwendet und ist – so erklärt es die Website der Gemeinde Burgschleinitz-Kühnring – "einer der bedeutsamsten Naturwerksteine Österreichs".

Der "Weiße Stein von Zogelsdorf" ist in vielen barocken Prunkbauten zu finden. Unter anderem in den Skulpturen im Stiegenhaus des einstigen Winterpalais von Prinz Eugen.
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Geologisch werde der vor 18 Millionen Jahren gebildete und "in einem seichten tropischen Meer in der ,Eggenburger Meeresbucht' abgelagerte Kalksandstein als ,Zogelsdorf-Formation' bezeichnet". Schon im Mittelalter, vor allem aber im Barock erlebte der Abbau von und Handel mit dem berühmten "Weißen Stein von Zogelsdorf" seine Hochblüte und verhalf dem Ort zu Reichtum. Bis zu 400 Arbeiter waren damals in den Zogelsdorfer Steinbrüchen beschäftigt, um das Material für viele Prunkbauten zu liefern – vom Stephansdom über Schloss Schönbrunn und die Nationalbibliothek in der Hofburg bis zum genannten Winterpalais von Prinz Eugen, aber auch Schloss Esterházy in Ungarn.

Der Gemeindechronik zufolge waren die vier Blöcke für die Herkulesfiguren am Michaelertor der neuen Hofburg "die letzte große Lieferung nach Wien": "Sie wogen jeder 25 Tonnen. Ihr Transport vom Johannesbruch in Zogelsdorf bis zum drei Kilometer entfernten Bahnhof in Eggenburg hatte eine Woche gedauert." Die Wirtschaftskrise von 1873 läutete den Niedergang der Zogelsdorfer Steinmetze ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Steingewinnung vor Ort ganz zum Erliegen. Im Steinmetzhaus Zogelsdorf und im Johannes-Schausteinbruch können aber bis heute historische Werkzeuge und Techniken von damals besichtigt werden.

Herkules kann ruhen, Sebastian Kurz hat noch einiges an Arbeit vor sich, ehe er wieder Bundeskanzler sein kann.
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Stumme Zeugen im Haus des Geldes

Die steinernen Zeugen im Winterpalais – Maria Theresia hatte es nach Prinz Eugens Tod 1736 gekauft – waren ab 1848 vor allem Staffage für finanzielle Aktivitäten des Staates. Seit damals war die Himmelpfortgasse 8 die Adresse für das "Haus des Geldes". Dort, wo Prinz Eugen im Winter gewohnt hatte (im Sommer bevorzugte er das Belvedere), residierte das Finanzministerium – bis 2007. Da begann eine fünfjährige Generalsanierung, die 2012 mit einer berühmt gewordenen Anfrage von Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) bei der damaligen Direktorin der Österreichischen Galerie Belvedere, Agnes Husslein, aus dem Geldpalast einen zeitweiligen Kunstpalast machte: "Agnes, willst das Winterpalais?" konnte die Gefragte nur als rhetorische Frage auffassen. Natürlich wollte Husslein die (vom Finanzministerium auch noch bezuschusste) repräsentative Dependance für das Belvedere. Seit November 2017 ist das Winterpalais wieder unter den Fittichen des Finanzministers – und nun Ort der Bildung der nächsten Regierung. (Lisa Nimmervoll, Michael Völker, 14.10.2019)