Nach Elinor Ostrom ist die Französin Esther Duflo erst die zweite Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhält.

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Abhijit Banerjee forscht wie seine Ehefrau Esther Duflo am Massachusetts Institute of Technology.

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Seit 1969 wird der Wirtschaftsnobelpreis vergeben, der streng genommen keiner ist.

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Auch wenn Menschen kaum genug zum Leben haben, treffen sie tagtäglich weitreichende Entscheidungen darüber, was sie mit ihrem Geld machen. Und wie bei anderen Menschen auch sind diese Entscheidungen oft unsinnig. Diese auf den ersten Blick triviale Erkenntnis ist es, die im Zentrum der Forschungsarbeiten von Abhijit Banerjee and Esther Duflo steht, die am Montag gemeinsam mit Michael Kremer für den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis vorgeschlagen wurden.

Den Grundstein für diese These legten Duflo und Banerjee bei über 2000 Befragungen in den Slums der indischen Metropole Hyderabad. Die beiden Ökonomen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) wollten wissen, was Menschen, die von einem bis maximal zwei US-Dollar am Tag leben müssen, mit ihrem Geld machen. Sie fanden heraus, dass Betroffene entgegen den Erwartungen nur einen Teil ihres Geldes für Essen ausgeben, meist zwischen 50 und 75 Prozent ihres Jahreseinkommens.

Feste und Tabak

Die Armen wenden dafür "signifikante Summen" für Alkohol und Tabak auf. Viel floss zudem in diverse Feierlichkeiten wie Hochzeiten, religiöse Feste und Begräbnisse. Eine typisch indische Familie, die in einem Slum lebt, gibt zehn Prozent ihres verfügbaren Geldes dafür aus. Dabei zeigen Gesundheitsdaten aus Indien, dass diese Familien häufig unterernährt und daher öfter krank sind.

Ein Paradoxon, schreiben Banerjee und Duflo in dem 2006 veröffentlichten Paper "The Economic Lives of the Poor": Selbst die Ärmsten könnten, indem sie ihre Ausgaben umschichten, mehr für sich und ihre Gesundheit tun. Wie bringt man sie dazu, anders zu entscheiden?

Experimente gegen Armut

Dieser Frage gingen Banerjee, der aus Mumbai stammt, und die in Paris geborene Duflo in zahlreichen Feldexperimenten in Indien, Sri Lanka, Ghana, Äthiopien, Honduras und Peru nach. Das inzwischen verheiratete Paar hat erforscht, welche Maßnahmen Armut reduzieren und welche nicht. Dabei haben sie eine spezielle Technik angewendet: randomisierte Experimente. Dabei wird zu Projektbeginn nach dem Zufallsprinzip eine Interventions- und eine Kontrollgruppe gebildet.

Zu Beginn und am Ende des Versuchs werden diverse Daten erhoben. In der Interventionsgruppe wird etwas verändert: Diese Menschen erhalten einen Mikrokredit oder einen Cash-Transfer, oder sie bekommen ein Schaf geschenkt. In der Kontrollgruppe passiert nichts dergleichen. Die Frage ist, ob die Intervention etwas bewirkt. In der Medizin ist diese Technik ständig im Einsatz: Die Kontrollgruppe erhält das Placebo, parallel wird das Medikament verabreicht.

"Saubere Form der Evaluierung"

Mit dieser Technik haben Duflo und Banerjee versucht, dem grundlegendes Problem sozialwissenschaftlicher Forschung beizukommen, dass im realen Leben außerhalb eines Labors oft unklar ist, was eine Veränderung genau bewirkt. Im Land X werden zum Beispiel zur Armutsreduktion Kühe an Haushalte verteilt. Anschließend wird gemessen, ob dadurch der Wohlstand gestiegen ist.

Selbst wenn das der Fall wäre, ist es schwer zu sagen, woran es lag: Haben die Kühe etwas bewirkt oder war das Wirtschaftswachstum stärker, weshalb der Wohlstand ohnehin gestiegen wäre? Durch die Kontrolle mit einer Zufallsgruppe soll die Wirkung der Maßnahme exakter nachgewiesen werden.

"Das ist eine saubere Form der Evaluierung", sagt der Ökonom Martin Kocher, der das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien leitet. In der Entwicklungszusammenarbeit wurde lange Zeit auf andere Methoden zur Evaluierung gesetzt, bei der Experten befragt oder Wirtschaftsdaten analysiert wurden.

Lohnen sich Investitionen?

Banerjee und Duflo haben evaluiert, wie Mikrokredite im Süden Indiens gewirkt haben. Einige Jahre galten die Minidarlehen als Wunderwaffe im Kampf gegen Armut. Die Ökonomen haben sich angesehen, ob Menschen, die ein 250-Dollar-Darlehen bekommen, es zu mehr Wohlstand gebracht haben. Was die Ökonomen herausfanden, war, dass Mikrokreditnehmer zwar öfter ein Geschäft, etwa einen Trödelladen, eröffneten.

Sie investieren aber kaum zusätzlich in die Ausstattung ihrer Läden. Viele nutzen den Mikrokredit, um sich einen neuen Fernseher zu kaufen. Der Wohlstand ist durch die Minidarlehen nicht gestiegen. Abhijit Banerjee meinte einmal zur Erklärung, dass sich für arme Menschen Investitionen zwar finanziell lohnten. Allerdings sei der mögliche Wohlstandsgewinn überschaubar. An der grundlegenden Armut ändere sich wenig. Für viele Menschen sei es wenig sinnvoll, Kredit zu nehmen und in ein Geschäft zusätzlich zu investieren.

Ein Geschenk allein ist zu wenig

Die oft vorgetragene Kritik, Banerjee und Duflo hätten mit ihrer Forschung nur demonstriert, was nicht funktioniert, stimmt dabei nicht. So haben sie mittels Experimenten nachgewiesen, wie Schenkungen von Nutztieren wie Kühen und Hühnern armutsreduzierend wirken können.

Nur die Tiere zu verteilen bringt wenig. Wenn der Hunger kommt, werden sie gegessen. Anders ist es, wenn neben dem Geschenk auch etwas Geld gegeben wird, mit dem die Betroffenen Nahrung kaufen können und Schulungen bekommen, wie sie Mehreinnahmen aus dem Verkauf von Eiern und Milch ansparen können.

Esther Duflo hat ihren Zugang einmal so beschrieben: Während manche Ökonomen über großen Theorien nachdenken und als Wissenschafter agieren, arbeiteten sie und ihr Mann zu den vielen Details der Umsetzung, so wie Installateure.

Das Nobelpreiskomitee lobt alle heurigen Preisträger, weil ihre Forschung zur Armutsreduktion beigetragen hat. Wobei die beschriebenen Experimente keine Wunderwaffe sind, wie Jörg Faust erklärt, der das Deutsche Evaluierungsinstitut leitet, das sich mit der Messbarkeit von Entwicklungshilfe beschäftigt. Viele Projekte lassen sich nur klassisch evaluieren, etwa wenn ein Staat einem anderen dabei hilft, seine Verwaltung aufzubauen.

In den USA und in Großbritannien werde die Entwicklungshilfe häufig via Feldversuchen evaluiert, sagt Faust. Auch bei internationalen Organisationen wie der Weltbank sei die Methode viel im Einsatz. In vielen anderen Ländern, etwa Deutschland und Österreich, habe sich die Methode bisher nicht durchgesetzt. (András Szigetvari, 14.10.2019)