Der Ort, wo Vertrauen gebildet wird: eine Hälfte der paarförmigen basolateralen Amygdala.

Aus: Henry Gray (1918) Anatomy of the Human Body, gemeinfrei

Wien – Vertrauen spielt in unseren Interaktionen eine grundlegende Rolle. In der nicht ganz trivialen Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann dient es – abstrakt formuliert – dazu, die Komplexität der Interaktionsmöglichkeiten zu reduzieren, um handlungsfähig zu bleiben. Dabei kommt es aber immer auf das richtige Maß an: Zu viel Vertrauen und zu viel Misstrauen sind kontraproduktiv.

Vertrauen selbst entsteht natürlich auch durch Interaktion. Es hat aber auch ganz konkrete neuronale Voraussetzungen im Hirn, wie nun Wiener Forscher um Lisa Rosenberger (Uni Wien) zeigen konnten. Für ihre neue Studie, die vom WWTF unterstützt wurde, führten sie ein Verhaltensexperiment durch, bei dem die Teilnehmer mittels ökonomischer Interaktionen lernten, dass großzügigen Mitspielern zu vertrauen ist und selbstsüchtigen Mitspielern nicht.

Einzigartige Erbkrankheit

Das Besondere daran war, dass fünf Probanden unter dem Urbach-Wiethe-Syndrom litten, einer sehr seltenen Erbkrankheit, von der nur rund 100 Personen betroffen sind, von denen ein Gutteil in Südafrika lebt. Die Genveränderung beim Urbach-Wiethe-Syndrom schädigt eine Teilregion der Amygdala, die ein paariger Bereich im Kerngebiet des Gehirns ist, der aufgrund der Mandelform zu seinem Namen kam.

Die Amygdala ist eine Art Gefühlszentrum im Hirn und spielt eine wichtige Rolle etwa bei der Analyse möglicher Gefahren oder der gefühlsmäßigen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen. Bei Personen, die unter dem Urbach-Wiethe-Syndrom leiden, ist ein spezifischer Teil der Amygdala verkalkt, die sogenannte basolaterale Amygdala. Diese spezifische Gehirnschädigung ist einzigartig und ermöglicht es, ganz spezifisch die Rolle dieses Hirnbereichs zu untersuchen – und genau das geschah in der Studie.

Fehlende Informationsweiterleitung

Das Ergebnis der Experimente war eindeutig: Die Urbach-Wiethe-Patientinnen, die am Verhaltensexperiment teilnahmen, haben sowohl die großzügigen als auch die selbstsüchtigen Mitspieler völlig gleich behandelt und erkannten keine Unterschiede in deren Verhalten. Die Erklärung der Forscher um Rosenberger: Durch die defekte basolaterale Amygdala wurden Informationen über die Vertrauenswürdigkeit der Mitspieler nicht an die notwendigen Regionen des involvierten Gehirnnetzwerks weitergeleitet, wodurch die Patientinnen ihr Vertrauen gegenüber den Mitspielern nicht verändern konnten.

Die Ergebnisse, die im Fachblatt "Current Biology" publiziert wurden, erweitern nicht nur das Wissen über das Gehirnnetzwerk und die Mechanismen der Vertrauensbildung. Sie bestätigen auch, dass die Amygdala nicht als eine uniforme Gehirnregion betrachtet werden sollte, sondern dass ihre Teilregionen unabhängige Funktionen haben. (red, 14.10.2019)