Die Verurteilten:

Obere Reihe, von links: Raül Romeva, Joaquim Forn, Jordi Turull, Oriol Junqueras, Josep Rull.

Untere Reihe, von links: Jordi Cuixart, Carme Forcadell, Dolors Bassa und Jordi Sànchez.

Fotot: AFP/GABRIEL BOUYS; LLUIS GENE; PAU BARRENA

Bereits in den vergangenen Tagen wurde gegen das bevorstehende Urteil demonstriert, für die kommenden Tage sind weitere Mobilisierungen angekündigt.

Fotot: AFP/ PAU BARRENA

Madrid – Der Oberste Gerichtshof Spaniens verurteilt die katalanischen Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten in Zusammenhang mit dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 nicht wie von der Staatsanwaltschaft gefordert wegen "Rebellion", sondern nur wegen "Aufstands" sowie der "Veruntreuung öffentlicher Gelder". Das gab das siebenköpfigen Richtergremium am Montag bekannt.

Neun der zwölf Angeklagten, die bereits seit knapp zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzen, müssen zwischen neun und 13 Jahre hinter Gitter. Drei weitere, die auf freiem Fuß sind, kommen mit einer Geldstrafe wegen "Ungehorsams" davon. Auf Rebellion hätten Haftstrafen von bis zu 25 Jahren gestanden.

Die höchste Strafe wurde gegen den ehemaligen Vizechef der katalanischen Regierung, Oriol Junqueras, verhängt. Er muss für 13 Jahre ins Gefängnis, drei seiner ehemaligen Minister für zwölf, zwei weitere für zehneinhalb Jahre. Die ehemalige Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, erhält elfeinhalb Jahre und die Aktivisten Jordi Cuixart, Vorsitzender des Kulturvereins Òmnium Cultural, und Jordi Sànchez, ehemaliger Chef der Bürgerbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC), neun Jahre Haft.

Keine Berufung möglich

Eine Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich. Es bleibt nur der Weg vor das Verfassungsgericht. Doch dazu müssen Verfahrensfehler nachgewiesen werden. Die Verteidiger hatten bereits zu Prozessbeginn angekündigt, vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ziehen zu wollen. Der Regionalpräsident Kataloniens Quim Torra forderte nach der Urteilsverkündung eine Amnestie für die Separatistenführer. Die verhängten Urteile müssen vollstreckt werden, sagte hingegen Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez am Montag.

Drei weitere Minister, die nicht in Untersuchungshaft sind, kommen mit zehn Monaten Geldstrafe bei einem Tagessatz von 200 Euro davon. Alle Verurteilten werden für die Zeit ihrer Strafe keine öffentlichen Ämter bekleiden können. Das Urteil wurde am Wochenende bereits in groben Zügen von der Presse veröffentlicht. Irgendjemand aus dem Gericht hatte die Schweigepflicht gebrochen und Journalisten informiert.

Die Richter fanden nach einer vier Monate dauernden Verhandlung, bei der rund 600 Zeugen vernommen wurden, darunter der ehemalige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, keine Hinweise für "Rebellion". Zur Erfüllung dieses Tatbestands ist gewaltsames Vorgehen nötig, das darauf abzielt, die bestehende verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen. Das Gericht habe nur tumultartigen Mobilisierungen ausmachen können. Das sei sowohl am 20. September 2017 der Fall gewesen, als Tausende friedlich gegen die Durchsuchung katalanischer Regierungsgebäude demonstrierten, als auch am Tag der Volksabstimmung selbst. Damals gingen Bilder von brutalen Polizeieinsätzen um die Welt. Rund tausend Menschen wurden verletzt.

Katalonische Bewegung

Das Urteil ist der vorläufige Höhepunkt einer sich immer weiter zuspitzenden Konfrontation zwischen Zentralstaat und Katalonien. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, der auch die Regierung in Barcelona angehört, hat in den letzten sieben Jahren eine unverbindliche Bürgerbefragung über die Unabhängigkeit sowie das umstrittene Referendum abgehalten. Außerdem verabschiedete das katalanische Parlament 2017 mehrere Übergangsgesetze, um einen unabhängigen Staat zu installieren. Sie wurden vom spanischen Verfassungsgericht für ungültig erklärt. Katalonien wurde nach dem Referendum von Madrid für zwei Monate unter Zwangsverwaltung gestellt, Parlament und Regierung aufgelöst, die jetzt Verurteilten verhaftet.

Am Montagvormittag versammelten sich bereits einige Demonstranten auf den Straßen Barcelonas, um ihren Unmut über die Urteile kundzutun. Für Montagabend wurden große Proteste angekündigt.

Während es in Katalonien seit Sonntag immer wieder zu Demonstrationen und Sitzblockaden gegen das Urteil kommt, beklagten die Verteidiger der Betroffenen, dass die Presse das Urteil kannte, bevor sie und ihre Klienten es in der Hand hielten. Als einer der ersten Verurteilten reagierte der ehemalige Vizeregierungschef Oriol bereits nach den ersten Presseberichten. "Ich werde weiterhin für das Gleiche einstehen, hier drinnen oder draußen", beteuerte er.

Große Demonstrationen befürchtet

Für die kommenden Tage sind weitere Mobilisierungen unter dem Motto "Demokratischer Tsunami" angekündigt. Am Montag gingen bereits tausende Demonstranten auf die Straßen Barcelonas, um ihren Unmut über die Urteile kundzutun. Sie versammelten sich auf der Plaça de Catalunya in Barcelona und forderten die Freilassung der "politischen Gefangenen". Auch Kreuzungen und der U-Bahn-Zugang zu den Flughafenzügen wurden blockiert. Bei Protesten am Flughafen kam es zu Konfrontationen mit der Polizei. Insgesamt seien bis zum Abend mehr als 30 Menschen verletzt worden, berichtete die Nachrichtenagentur Europa Press.

All das kommt mitten im spanischen Wahlkampf für die Neuwahl am 10. November. Sánchez hat die Polizei vor Ort verstärken lassen und droht gar mit erneuter Zwangsverwaltung, falls die katalanische Regierung die Kampagnen zum zivilen Ungehorsam unterstützen sollte.

Die spanische Justiz versucht mit dem Urteil nun einmal mehr des ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont habhaft zu werden, indem am Montag erneut ein europaweiter Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Dieser hat das Urteil auf Twitter scharf kritisiert. "Eine Ungeheuerlichkeit", schrieb Puigdemont. Nun müsse reagiert werden wie nie zuvor.

Puigdemont setzte sich Ende 2017, kurz bevor er vor Gericht hätte erscheinen müssen, ins Ausland ab. Er lebt seither in Brüssel. Sowohl Belgien als auch Deutschland, wo er zu Ostern 2018 nach einer Skandinavienreise festgenommen wurde, lehnten bisher eine Auslieferung ab. (Reiner Wandler, red, 14.10.2019)