Ist das jetzt ein Jesus-Gewand oder eine römische Toga? Als die Schauspielerin Gwendoline Christie vor einigen Wochen während der Emmy Awards in ihrem Gucci-Outfit vor die Kameras trat, war die Irritation groß. Umhang, Schleppe, goldige Borten: Was hat sich Gucci-Designer Alessandro Michele denn da wieder ausgedacht?

Tatsächlich könnte man Christies Auftritt als herausragendes Beispiel für einen Trend bezeichnen, der sich schon länger abzeichnet: Renaissance-Elemente in die Mode hineinzuschmuggeln, ist gerade der letzte Schrei. Das entging auch dem New Yorker Webmagazin "Manrepeller" nicht und fand gleich den passenden Namen für das Phänomen: "Renaissancecore".

"Game of Thrones"-Star Gwendoline Christie wechselte für ihren Auftritt bei den Emmys Rüstung gegen Gucci-Robe.
Foto: VALERIE MACON / AFP

Die Lust am großen Aufputz könnte man als Reaktion auf die Langeweile davor verstehen. Labels wie Vetements erklärten in den vergangenen Jahren simple Sneaker und zusammengewurschtelte Levi's-Jeans zum Nonplusultra. Das Bekenntnis zum 08/15 (dessen Codes nur von Modeprofis entschlüsselt werden konnten) bekam auch einen Namen: "Normcore".

Rund fünf Jahre später sieht die Sache wieder anders aus. Die einen halten während der Klimademos weiterhin in ihren praktischen Funktionsjacken Schilder in die Höhe, die anderen geben das High-Class-Unschuldslamm: Sie schmücken sich (siehe Herzogin Kate) mit Perlen und Haarreifen, die wie Heiligenscheine oder Diademe aussehen. Die Ausschnitte der Kleider werden eckiger, die Ärmel plustern sich auf oder machen (wie bei Burberry) schlapp.

Bild nicht mehr verfügbar.

Man beachte den Ausschnitt: Gigi Hadid in einem Entwurf von Burberry. (Herbst/ Winter 2019)
Foto: REUTERS/Henry Nicholls
Unikat für den Kopf: Goldreifen-Designerin Niely Hoetsch hat mit der Ostwald Ledermanufaktur aufwendige Haarreifen gefertigt.
Foto: Niely Hoetsch/ Ostwald Ledermanufaktur

Irgendwie sieht alles danach aus, als hätten Alessandro Michele und Kollegen noch einmal auf Netflix die zweistündige, rund zehn Jahre alte Kostümorgie "Die Schwester der Königin" studiert. Da führen Natalie Portman und Scarlett Johansson als Anne und Mary Boleyn vor, wie man mit Kopfschmuck und Ausschnitt Heinrich VIII. den Kopf verdreht.

Natalie Portman in "Die Schwester der Königin" (2008)
Film Trailer
Wenn es nach der Modedesignerin Catherine Holstein vom New Yorker Label Khaite geht, reichen manchmal schon ein paar Perlen für den großen Auftritt.

Wer sich nun verpflichtet fühlt, demnächst als Anne Boleyn aufzutreten – angesagte Labels wie Khaite aus New York führen vor, dass manchmal schon ein Detail genügt, um dem Alltag Glanz zu verleihen. Und glaubhaft zu vermitteln: Renaissancecore, ich komme. (feld, 17.10.2019)