PiS-Chef Jarosław Kaczyński jubelte am Sonntag über den Wahlsieg seiner Partei.

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In Polen also nichts Neues? Nach der Parlamentswahl vom Sonntag mag es auf den ersten Blick so scheinen. Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat ihre absolute Mehrheit im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, sogar noch ausgebaut.

Dass die PiS erneut als stärkste Partei aus dem Urnengang hervorgehen würde, daran hatten selbst die größten Optimisten im Oppositionslager nicht gezweifelt. Doch irgendwie, so der Traum der Regierungskritiker, könne man der Partei von Jarosław Kaczyński vielleicht gemeinsam Paroli bieten, eine erneute Absolute verhindern und sich dann zu einer – wenn auch ideologisch sehr breit gefächerten – Koalition zusammenfinden. Diese Hoffnung ist am Sonntagabend jäh geplatzt.

Kein business as usual

Und doch kann die PiS nicht einfach weitermachen wie bisher. Die politische Landschaft Polens nämlich, sie hat sich trotz der Bestätigung für die Regierungslinie massiv verändert. Zum einen, und das ist aus Oppositionssicht zweifellos die beste Nachricht des Wahlabends, ist das Parlament bunter geworden. Während nach der Wahl 2015 konservative und wirtschaftsliberale Parteien die Sitze im Sejm unter sich aufteilten, hat diesmal die Linke ein kräftiges Lebenszeichen gegeben und ist ins Parlament zurückgekehrt. Möglich wurde das durch ein Bündnis dreier Gruppierungen, das sich nun, in den vor ihm liegenden Mühen der Ebene, noch bewähren muss.

Allerdings, und hier muss die Freude im liberalen Lager gleich wieder nachlassen, wird die neue Vielfalt auch von ganz rechts genährt: Die EU-skeptische Gruppierung Konfederacja rund um den ehemaligen Europaabgeordneten Janusz Korwin-Mikke, der immer wieder mit homophoben und rassistischen Äußerungen auffällig wird, wird ebenfalls knapp in den Sejm einziehen. Die PiS, die mit ihrer nationalen Ausrichtung, ihrem wertkonservativen Familienbild und ihren flammenden Warnungen vor der angeblich zersetzenden Kraft der LGBT-Bewegung das rechte Spektrum bisher weitgehend abgedeckt hat, muss sich im Parlament also auch auf Konkurrenz von dieser Seite gefasst machen.

Eine allzu heftige Umarmung der Konfederacja durch die PiS dürfte dabei vorerst nicht die bevorzugte Taktik sein: Sie könnte bei der im nächsten Frühjahr anstehenden Präsidentschaftswahl dann doch allzu viele Wählerinnen und Wähler in die Arme der linken und liberalen Opposition treiben.

Der Kampf um die gemeinsame Vision

Das liberale Lager, die sogenannte Bürgerkoalition, die sich aus der einst regierenden Bürgerplattform (PO), der liberalen Nowoczesna und den Grünen zusammensetzt, musste zwar eine herbe Niederlage einstecken, konnte sich jedoch klar als zweitstärkste politische Kraft etablieren. Nun muss sie daran arbeiten, ein Programm zu formulieren, das die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen ernst nimmt und das auch so etwas wie eine Vision zu bieten hat – eine Erzählung darüber, wo Polen eigentlich hinwill. Denn selbst Kritiker der PiS sind sich einig, womit diese vor allem punkten konnte: mit ihrem Mix aus freigiebiger Sozialpolitik, die auch die Globalisierungs- und Transformationsverlierer im Auge behält, und patriotischen Appellen an den polnischen Nationalstolz.

Genau dieses Erfolgsrezept der PiS ist gleichzeitig aber auch der Ballast, den sie seit dem Wahlabend mit sich schleppt: Derzeit ermöglicht die gute Konjunktur noch eine großzügige Transferpolitik, doch bereits jetzt geht diese auf Kosten wichtiger Bereiche wie etwa der überfälligen Reform des Gesundheitswesens. Eine Abkühlung der Wirtschaft könnte rasch dazu führen, dass die sozialen Versprechen nicht mehr zu halten sind. Das große Narrativ vom Stolz der polnischen Nation wird dann wohl nicht ausreichen, um mögliche Enttäuschungen abzufedern.

Reger Diskurs

In einem weitgehend proeuropäischen Land wie Polen mit seiner starken und wachen Bürgergesellschaft wird der politische Diskurs sich auch künftig nicht von einfachen Parolen zuschütten lassen. Auch die Gerichtsbarkeit, die durch die Justizreform der PiS unter Druck geraten ist, hat sich einen Großteil ihrer Unabhängigkeit bewahrt – zum Teil mithilfe des Europäischen Gerichtshofs, an dessen Urteile man sich auch in Warschau zu halten hat. Die PiS also bleibt vorerst an der Macht, doch die rege Debattenkultur im Land, die wird es weiterhin geben. Nicht zuletzt das bunter gewordene Parlament wird dafür Sorge tragen. (Gerald Schubert, 14.10.2019)