Der diesjährige Preis der Schwedischen Reichsbank in Erinnerung an Alfred Nobel geht zu gleichen Teilen an Abhijit Banerjee (MIT), Esther Duflo (MIT) und Michael Kremer (Harvard) "für die Verwendung von experimentellen Methoden zur Linderung der Armut in der Welt". Der Preis würdigt die Anstrengungen, verlässliche Antworten auf die Frage, welche wirtschaftspolitischen Interventionen den Ärmsten tatsächlich helfen, zu finden.

Untersuchungen in Schulen

Die Geehrten — und weitere Forschende — führen dafür Experimente durch. Die Experimente werden nicht im Labor (aber auch das ist mittlerweile eine gängige Methode zur Untersuchung ökonomischen Verhaltens) durchgeführt, sondern "im Feld", das heißt, mit Betroffenen unter realen Bedingungen. Die zufällige Einteilung in Gruppen, die unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt sind, erlaubt verlässliche Rückschlüsse auf die Effektivität von unterschiedlichen Maßnahmen.

Die ersten Feldexperimente konzentrierten sich auf Fragen, wie die Ausbildung in armen Ländern verbessert werden kann. Welche Maßnahme führt zu regelmäßigem Schulbesuch und zu besseren Prüfungsergebnissen? Ist es effektiver, Kindern Lehrbücher zu geben, den Schulbesuch zu subventionieren oder in den Schulen Gratis-Essen anzubieten? Diese Fragen hat Kremer mit Experimenten erforscht und zum Beispiel getestet, ob Kinder bessere Schulleistungen erzielen, wenn sie in der Schule zu essen bekommen. Dieses Experiment wurde in Kenia durchgeführt – und es zeigte, dass die Kinder in den 25 Vorschulen, die ein Gratis-Frühstück angeboten haben, rund 30 Prozent häufiger als in den 25 vergleichbaren Vorschulen, wo es kein Gratis-Frühstück gab, in die Schule gingen.

Weil aber die Ausspeisung auch Zeit beanspruchte, ist die Schulleistung nicht überall gestiegen, sondern nur dort, wo die Lehrerinnen und Lehrer besonders gut ausgebildet waren. Da verschiedene Maßnahmen unterschiedlich teuer sind, kann ein Vergleich verschiedener Experimente auch Auskunft über die Effektivität der Maßnahmen geben. So sind zum Beispiel Entwurmungsprogramme außerordentlich günstig und führen zu einem erhöhten Schulbesuch und besseren Prüfungsergebnissen.

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Die Preisträger des Wirtschaftsnobelpreises 2019.
Foto: Reuters

Hilfe für die Armen

Seit den frühen Feldexperimenten in Schulen sind vielerlei Maßnahmen untersucht worden, so zum Beispiel, wie man Impfraten erhöhen kann, ob die Möglichkeit, geringe Summen zu borgen, die wirtschaftliche Situation von Dörfern verbessert, welche Methoden geeignet sind, um die Verwendung von Düngemitteln zu steigern, und so weiter. Es geht bei dieser Forschung immer auch um die Entwicklung von Maßnahmen, um die Situation zu verbessern.

Zum Beispiel haben Duflo und Kollegen ein erfolgreiches Programm entwickelt, um das Fernbleiben von Lehrerinnen und Lehrern in indischen Schulen zu reduzieren — Kremer hat davor gezeigt, dass an einem typischen Tag bis zu 30 Prozent der Lehrenden nicht zur Arbeit kommen. Aber nicht jede evidenzbasierte Lösung wird auch umgesetzt: Ein ähnliches Programm zur Reduktion der Abwesenheit von Pflegern und Schwestern in indischen Krankenhäusern wurde durch die lokale Politik unterwandert, 18 Monate nach der Einführung war das Programm durch die großzügige Gewährung von Ausnahmetagen de facto vorbei.

Viele Forschungsprojekte werden über das Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) koordiniert, das 2003 von Banerjee, Duflo und Mullainathan mit dem Ziel gegründet wurde, die Ursachen von Armut zu erforschen und mit evidenzbasierter Politik zu lindern. Derzeit werden allein über das J-PAL mehr als 800 solcher randomisierten Feldstudien durchgeführt, und die Datenbank erlaubt Zugang zu fast 1.000 Untersuchungen, die bereits durchgeführt wurden. Hier finden sich Antworten auf ganz unterschiedliche Fragen, denen allerdings ein Aspekt gemeinsam zugrunde liegt: Was kann getan werden, damit den Ärmsten geholfen werden kann?

Banerjee, Duflo und Kremer haben nicht nur außerordentliche Forschung über die Ursachen von Armut geleistet, sondern auch maßgebliche Vorschläge zur evidenzbasierten Bekämpfung von Armut gemacht. Sie sind daher Paradebeispiele für den gesellschaftlichen Nutzen und die Relevanz der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. (René Böheim, 15.10.2019)

René Böheim war vom März 2017 bis August 2019 Gastprofessor für Arbeitsmarktökonomie an der WU Wien. Er arbeitet und forscht derzeit am Institut für VWL an der Johannes-Kepler-Universität Linz und beschäftigt sich mit der Evaluierung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
Foto: JKU Linz