Mit dem Schirm aus Naturschwämmen möchte man nicht im Regen stehen – oder ihn von A nach B bringen müssen.

Foto: Succession Wolfgang Paalen et Eva Sulzer

Wolfgang Paalen tanzte zeit seines Lebens, das er sich 1959 im Alter von nur 54 Jahren nahm, auf vielen Hochzeiten – aber auf keiner so richtig. Die um Kategorisierung bemühte Kunstgeschichte tut sich mit den Querschlägern und jenen, die sich selbst so auffällig entziehen, schwer. Dazu kommt, dass sich die meisten Arbeiten Paalens in Privatsammlungen befinden, also einfach nicht in der Museumslandschaft – schon gar nicht der heimischen – präsent sind. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie noch nie von dem guten Mann gehört haben – Sie sind nicht allein.

Am ehesten kann man dem 1905 in Wien geborenen Sohn eines jüdischen Kaufmanns und Erfinders und einer deutschen Schauspielerin das Mascherl des Surrealisten umhängen, ihn sogar den einzigen österreichischen Surrealisten heißen. Aber das wäre zu kurz gegriffen.

Zwischen Surrealismus und Expressionismus

Erstens verbrachte der Künstler überhaupt nur die frühesten acht Jahre seines Lebens in Wien und sollte auch beim avancierten Weltenbummeln nie so richtig Wurzeln schlagen. Zweitens nähert er sich in seinem Spätwerk stark den abstrakten Expressionisten an, beziehungsweise sie sich ihm. Barnett Newman führte ihn sogar auf seiner Kandidatenliste für die neu zu gründende Strömung. Gerade die späten, auratisch und sakral anmutenden Großformate Paalens lassen an die Absichten eines Rothko denken, auch wenn die malerischen Mittel andere sind.

Wolfgang Paalen, "El Velorio", 1946
Foto: Belvedere

Paalen war trotz der Depressionen, die ihn plagten, ein charismatischer Typ, der gut mit Menschen konnte, leicht Anschluss fand. Nach seiner künstlerischen Sozialisation in Berlin verbrachte er die 1930er-Jahre in Paris, wo er vom Obersurrealisten André Breton mit offenen Armen in der munteren Gruppe empfangen wurde. Später ging er auf Einladung von Frida Kahlo nach Mexiko.

Paalen verstand sich aber auch als Anthropologe, sammelte außereuropäische Kunst, reiste nach Britisch-Kolumbien und Alaska, immer auf der Suche nach dem besten Totempfahl. Er interessierte sich für Heisenberg und Einstein, für das Matriarchat und die vierte Dimension und natürlich auch für das Unbewusste.

Da darf auch die griechische Mythologie nicht fehlen. Zwar konnte Paalen das Feuer nicht mehr erfinden, wie es Prometheus getan hatte. Dafür wurde er für die Erfindung des künstlerischen Zündelns bekannt.

Wolfgang Paalen, "Paysage totémique", 1938, Privatsammlung Paris

Rauchzeichen

Leinwände und Papier hielt er über Kerzen und arbeitete mit den so entstandenen "Rauchzeichen" weiter. Eine Technik, der er den Namen Fumage gab und der er jahrelang die Treue hielt.

Aus den Zeichen entwickelte er seine fantastischen Landschaften, denen fast immer auch figurative Elemente innewohnen. Man erkennt Kykladenidole, die eine oder andere Urmutter und glaubt zumindest, verzerrte Gesichter und verdrehte Körper wahrzunehmen. Gleichzeitig verwirklichte er in guter surrealistischer Tradition Objekte, formte eine Pistole aus Tierknochen oder ließ einen Regenschirm mit Naturschwämmen überziehen. Objekte, die uns ob ihres offensichtlichen Witzes heute nur noch ein müdes Lächeln kosten.

Damals waren sie bahnbrechend. Und so hing der Regenschirm bei der Exposition internationale du surréalisme 1938 in Paris auch prominent von der Decke. Neben Duchamp, Man Ray und Dalí hatte Paalen diese Schau maßgeblich mitkonzipiert. Mit Erde und feuchtem Laub wurde der Boden auf sein Geheiß hin bedeckt. Um einen Stuhl herum ließ er Efeu ranken, und eine Schaufensterpuppe kleidete er in Moos und Schwammerln und setzte ihr einen ausgestopften Flughund auf. Das Belvedere hat sich die Mühe gemacht, diese Kuriositäten in der Schau nachzustellen.

Nachvollziehbar vollständig

Es ist nur sinnvoll, ein so diverses Werk und turbulentes Künstlerleben wie das Paalens in chronologischer Abfolge zu zeigen. So löste es der Kurator Andreas Neufert auch im Unteren Belvedere. Kritisieren kann man bei der umfassenden Schau nicht viel – einzig dass sie etwas gar didaktisch daherkommt. Um zu verstehen, dass Paalen Masken gesammelt hat, braucht es nicht unbedingt Leihgaben aus dem Weltmuseum – wir haben alle schon einmal eine Maske gesehen.

Der Vollständigkeitsanspruch ist aber nicht nur der Tatsache geschuldet, dass Neufert der Mann für Paalen ist und seine Forschungsergebnisse standesgemäß präsentieren möchte, sondern dass es seit 1993 (damals zeigte man Paalens Malereien im 20er-Haus) keine Möglichkeit gab, das Œuvre hierzulande so zu sehen.

Auch Menschen, die den Surrealismus der Marke Dalí eher als Autounfall der Kunstgeschichte betrachten (man kann weder hin- noch wegschauen), vermag diese Schau eigentümlich zu berühren. Runde Sache! (Amira Ben Saoud, 14.10.19)