Saša Stanišić wird mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Frankfurt/Wien – Der Deutsche Buchpreis 2019 geht an Saša Stanišić für seinen Roman "Herkunft". Diese Entscheidung der Jury wurde am Montagabend im Frankfurter Römer bekanntgegeben.

Nominiert waren auch die 29-jährige Wienerin Raphaela Edelbauer ("Das flüssige Land"), der 27-jährige, in Neu-Delhi geborene Wiener Tonio Schachinger ("Nicht wie ihr") sowie Norbert Scheuer ("Winterbienen"), Jackie Thomae ("Brüder") und Miku Sophie Kühmel ("Kintsugi") aus Deutschland.

Deutscher Buchpreis

Vor dem Krieg geflohen

Stanišić wurde 1978 im bosnischen Višegrad geboren, mit 14 Jahren floh er vor dem Krieg in Jugoslawien nach Deutschland. In seiner Rede nahm er Bezug auf die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke, der in den Balkankriegen der 1990er-Jahre für Serbien Partei ergriffen hatte. Stanišić bat die Zuhörer zuerst höflich um Nachsicht, dass er seine Redezeit nutze, "um mich zu echauffieren" – dann legt er los.

"Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt", sagte der heute in Hamburg lebende Autor. "Dass ich hier heute vor Ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat." Er könne nicht nachvollziehen, "dass man sich die Wirklichkeit, mit der man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur Lüge besteht".

Vertreter einer "anderen Literatur"

Er nehme den Buchpreis entgegen als Vertreter einer anderen Literatur, "einer Literatur, die nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet".

In "Herkunft" erzählt der 41-Jährige von seiner Großmutter, die langsam das Gedächtnis verliert, und der Flucht der Familie nach Deutschland – und behandelt dabei die Frage, welche Rolle Herkunft überhaupt spielt. Seine Antwort: keine. "Herkunft ist Zufall", sagt Stanišić in einem bei der Preisverleihung gezeigten Videoeinspieler.

"Ich verstehe das Beharren auf dem Prinzip der Nation nicht. Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll", heißt es im Roman. Für ihn gilt: "Heimat ist das, worüber ich gerade schreibe." Müsste die Familie heute fliehen, erzählt Stanišić, würde die Reise an einem ungarischen Stacheldraht enden. Seine Eltern wurden ausgewiesen, er durfte Deutsch lernen und bleiben.

ORF

"Saša Stanišić ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut", begründet die Jury ihre Wahl. "Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist." Der Autor beweise große Fantasie und verweigere sich "der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit".

Jury sichtete insgesamt 200 Titel

Der 2005 ins Leben gerufene Deutsche Buchpreis wird traditionell am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vergeben. Gesucht wird der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro. Die Auswahl trifft eine siebenköpfige Jury, die jedes Jahr neu besetzt wird und heuer insgesamt 200 Titel gesichtet hat. Erst zweimal erhielten Österreicher den Preis: 2005 gewann Arno Geiger mit seinem Roman "Es geht uns gut", 2017 wurde Robert Menasse für "Die Hauptstadt" ausgezeichnet. Im Vorjahr siegte Inger-Maria Mahlke mit dem Roman "Archipel". (APA, 14.10.2019)