US-Präsident Trump kündigt Sanktionen gegen die Türkei an.

Foto: APA/AFP/SAUL LOEB

Washington/Damaskus/Ankara – Die USA haben wegen der Militäroffensive in Nordsyrien Sanktionen gegen die Türkei verhängt und eine sofortige Waffenruhe gefordert. US-Präsident Donald Trump will seinen Vize Mike Pence schnellstmöglich zur Vermittlung zwischen den Kurden und den Türken nach Ankara schicken.

Die Sanktionen würden ausgeweitet und verschärft, solange die Türkei nicht in den Waffenstillstand trete, die Gewalt einstelle und sich damit einverstanden erkläre, eine langfristige Lösung der Probleme entlang der Grenze zwischen der Türkei und Syrien auszuhandeln, erklärte Pence am Montag.

Nahost-Expertin Petra Ramsauer mit einer Einschätzung der Lage in der "ZiB 2".
ORF

Die Sanktionen wurden gegen Verteidigungsminister Hulusi Akar, Energieminister Fatih Dönmez sowie Innenminister Süleyman Soylu verhängt. Zudem seien das Verteidigungsministerium und das Energieministerium der Türkei mit Sanktionen belegt worden, erklärte das US-Finanzministerium. Dadurch könnte Vermögen der Sanktionierten in den USA eingefroren werden.

Türkische Wirtschaft im Visier

Außerdem kündigte Trump die Anhebung von Strafzöllen auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent an. Gleichzeitig werde die US-Regierung "umgehend" Verhandlungen über ein rund 100 Milliarden Dollar schweres Handelsabkommen abbrechen.

Die Maßnahmen dürften die angeschlagene türkische Wirtschaft empfindlich treffen. Im vergangenen Jahr hatte die US-Regierung Sanktionen gegen zwei Minister wegen des Vorgehens der Türkei gegen einen US-Pastor verhängt. Schon die Androhung hatte die Landeswährung Lira auf Rekordtiefstände geschickt. Die jüngste Ankündigung hatte jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Lira, sie war bereits infolge der Militäroffensive eingebrochen.

Demokraten: "Sanktionen nicht ausreichend"

Die demokratische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, kritisierte die Sanktionen als nicht ausreichend, um die "humanitäre Katastrophe" zu stoppen, die Trump mit seiner "unberechenbaren" Politik hervorgerufen habe. Der US-Präsident ist wegen seiner Syrien-Politik scharf kritisiert worden. Auch Politiker seiner Republikanischen Partei werfen dem Präsidenten vor, die Kurden im Stich zu lassen, die an der Seite der USA gegen die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) gekämpft hatten.

Trump verteidigte seine Linie aber in einem sarkastischen Tweet: Jeder könne Syrien dabei helfen, die Kurden zu schützen – "Russland, China oder Napoleon Bonaparte". Er wünsche ihnen gutes Gelingen. "Wir sind 7.000 Meilen weit weg!"

USA wollen vermitteln

Trump telefonierte am Montag sowohl mit dem kurdischen General Mazlum Abdi als auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, berichtet Pence. Trump habe sein Angebot wiederholt, in dem Konflikt zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und dem türkischen Militär zu vermitteln. Erdoğan habe zugesichert, die Grenzstadt Kobanê nicht anzugreifen.

"Der Präsident wäre nicht bereit, kurzfristig eine hochrangige Delegation wie diese zu entsenden, wenn er nicht ziemlich zuversichtlich wäre, dass es zumindest eine Chance auf einen Waffenstillstand gibt", hieß es aus Regierungskreisen.

Der türkische Präsident sicherte am Dienstag zu, dass die türkischen Truppen nicht zulassen würden, dass IS-Kämpfer aus Syrien fliehen. Erdoğan veröffentlichte dazu einen Kommentar im "Wall Street Journal". "Wir sind bereit, mit den Herkunftsländern und den internationalen Organisationen zu kooperieren für die Rehabilitation der Frauen und Kinder der ausländischen terroristischen Kämpfer", schrieb er.

UN-Sicherheitsrat tagt am Mittwoch

Indessen hat die türkische Polizei vier Bürgermeister von kurdisch dominierten Städten festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK haben, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) teilte am Dienstag mit, die Polizei habe die Ko-Bürgermeister von Hakkâri, Yüksekova, Erciş und Nusaybin festgenommen.

Am Mittwoch kommt erneut der UN-Sicherheitsrat wegen der türkischen Offensive zusammen. Die nichtöffentliche Beratung sei auf Antrag der europäischen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien und Polen – anberaumt worden, hieß es am Dienstag. Es handelt sich um die zweite Sondersitzung binnen einer Woche. Bereits am Donnerstag hatte der Sicherheitsrat zu Nordsyrien getagt, sich aber nicht auf eine Position verständigen können. Am Freitag blockierten Russland und China einen Text der USA, in dem Ankara zur Beendigung der Offensive aufgerufen wurde.

Syrische Truppen unterstützen Kurden

Die Türkei hatte den lange geplanten Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz begonnen, die an der Grenze zur Türkei in Nordsyrien ein großes Gebiet kontrolliert, vergangenen Mittwoch begonnen. Die Türkei hält die YPG für einen Ableger der PKK. Heftige Kämpfe zwischen YPG und türkischem Militär gab es zuletzt unter anderem in der syrischen Grenzstadt Ras al-Ain.

Die von den Kurden dominierten SDF haben am Sonntag eine Vereinbarung mit der Regierung in Damaskus und deren Verbündetem Russland getroffen. Das syrische Militär kam den von der Türkei bedrängten kurdischen Milizen am Montag mit einem Truppenaufmarsch zu Hilfe. Über die Zahl der Truppen machte die Regierung in Damaskus keine Angaben.

Russische Truppen patrouillieren im Grenzgebiet

Auch russische Truppen sollen laut der Nachrichtenagentur Ria in der Grenzregion in der Nähe der Stadt Manbij patrouillieren. Laut dem russischen Verteidigungsministerium hat die syrische Armee die "volle Kontrolle" über die Stadt. Gleichzeitig sprach man von einem "organisierten Zusammenwirken mit der türkischen Seite" durch russische Soldaten. Einem Bericht des Magazins "Newsweek" zufolge, in dem ein ranghoher Pentagon-Mitarbeiter zitiert wird, sollen die US-Truppen Manbij bei ihrem Abzug quasi an die eintreffenden russischen Truppen "übergeben" haben.

Bei Kämpfen nahe Manbij wurden am Dienstag ein türkischer Soldat getötet und 18 verletzt, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu. Die türkische Armee habe den Angriff erwidert. Dabei seien 15 YPG-Kämpfer getötet worden. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden seit vergangenem Mittwoch in Nordsyrien 135 kurdische Kämpfer, 120 protürkische Milizionäre und 70 Zivilisten getötet. Die Zahlen von beiden Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Ärzte ohne Grenzen zieht Mitarbeiter ab

Aufgrund der "extrem instabilen Situation" in der Region hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) am Dienstag angekündigt alle internationalen Mitarbeiter aus der Region abzuziehen. "Dies waren extrem schwierige Entscheidungen", teilte MSF mit. Die derzeitige Lage mache es aber unmöglich, Medizin und Helfer in die betroffenen Gebiete zu bringen.

Den USA wird vorgeworfen, durch ihren Abzug die Kurden im Stich gelassen zu haben, da damit der Weg für den türkischen Einmarsch freigemacht wurde. Die von Kurden dominierten SDF waren im Kampf gegen den IS ein wichtiger Verbündeter der USA. (APA, red, 15.10.2019)