Bulgarische Stadionbesucher sorgten für ein Bild des Grauens.

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Sofia/London – Seit Jahr und Tag wird auf der Insel über Europa gestritten, diesmal bestand komplette Einigkeit. "Widerwärtig und verabscheuungswürdig" nannte Premierminister Boris Johnson am Dienstag die Ereignisse im Wassil-Lewski-Stadion von Sofia, wo schwarze Spieler der englischen Fußballelf am Abend zuvor anhaltende rassistische Beschimpfungen über sich hatten ergehen lassen müssen. Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow drängte nach den Szenen am Rand des EM-Qualifikationsspiels den Verbandschef zum Rücktritt, nahm jedoch sein Land in Schutz: "Die Dinge werden übertrieben. Bulgarien ist sehr tolerant."

Am Benehmen der örtlichen Fans allerdings bestanden bereits vorab Zweifel. Nach rassistischen Anfeindungen in den Spielen gegen Tschechien und Kosovo im Juni hatte die Uefa als Strafe Teile des Stadions stillgelegt und mit riesigen Anti-Rassismus-Transparenten versehen. Die britischen Medien erinnerten zudem an den letzten, ebenfalls von widerwärtigen Beschimpfungen überschatteten Auftritt der Three Lions in Sofia 2011. Was damals Spielern wie Ashley Cole und Theo Walcott widerfuhr, eskalierte diesmal ausgerechnet bei einer Szene mit dem Debütanten Tyrone Mings. Eine Gruppe bulgarischer Zuschauer gab Affenlaute von sich, Mings schien seinen Ohren kaum trauen zu wollen. Trainer Gareth Southgate eilte sofort zum Offiziellen am Spielfeldrand, die Partei wurde in der 27. Minute unterbrochen. Nachdem ein Appell des Stadionsprechers wirkungslos geblieben war, ein harter Kern schwarz gekleideter Vermummter sogar den Hitlergruß gezeigt hatte, unterbrach der kroatische Schiri Ivan Bebek das Spiel kurz vor der Pause ein zweites Mal.

In der Halbzeit bat der bulgarische Kapitän Iwelin Popow die verbleibenden Fans – angesichts des Stands von 0:4 hatten Tausende das Stadion verlassen – um Mäßigung, das Spiel wurde dann ordnungsgemäß zu Ende gebracht. Sein Team habe gleich zweimal die richtige Antwort gegeben, teilte der aufgebrachte Southgate anschließend mit, nämlich durch das Ergebnis (6:0) sowie das an den Tag gelegte Benehmen: "Ich bin unglaublich stolz auf das Team und alle meine Mitarbeiter."

Tags darauf wurden der Nationaltrainer und seine Spieler nicht nur vom Premierminister, sondern auch von der Opposition gelobt. Nie zuvor habe er der englischen Mannschaft die Daumen gedrückt, scherzte der Sprecher der Schottischen Nationalpartei (SNP), Gavin Newlands: "Diesmal tat ich es und freute mich über das eindeutige Ergebnis." Dieses fasste das Boulevardblatt Daily Mail bündig zusammen: "England sechs, Rassismus null".

Sport-Staatssekretär Nigel Adams kündigte ein geharnischtes Schreiben an die Uefa an, Labour-Sprecherin Rosena Allin-Khan forderte Stadienschließungen und den Ausschluss von Turnieren für Verbände, die das Rassismusproblem nicht in den Griff bekommen. Davon scheint Bulgarien trotz des Rücktritts von Verbandspräsident Boris Michailow weit entfernt. Teamchef Krassimir Balakow versuchte, die Vorgänge herunterzuspielen. Er habe von den rassistischen Sprechchören und Gesängen nichts mitbekommen. Im Übrigen sei das Problem im englischen Fußball größer als in Bulgarien. (Sebastian Borger aus London, 15.10.2019)