Ein geruchloses Leben ist in mehrfacher Hinsicht belastend: Wer seinen eigenen Geruch nicht mehr wahrnehmen kann, scheut etwa die Öffentlichkeit. Menschen mit eingeschränktem Geruchssinn fürchten sich nicht selten davor, Schweiß- oder Mundgeruch zu haben.

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Es gibt viele Gründe, warum ein Mensch seinen Geruchssinn gänzlich oder teilweise verliert. Allen voran steht das Alter. Mit den Jahren verringern sich die Riechzellen in der Nase – je älter wir werden, desto weniger gut riechen wir. "Mindestens ein Drittel der Menschen über 80 Jahre kann überhaupt nicht mehr riechen, zusätzlich leiden viele ältere Menschen an einem verminderten Riechvermögen", erklärt Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums Riechen und Schmecken der Uniklinik Dresden.

Auch Entzündungen in der Nase wie etwa eine chronische Nebenhöhlenentzündung bei einer starken Erkältung können das Riechen einschränken. Zu den weiteren möglichen Auslösern gehören ein Schädel-Hirn-Trauma oder ein Infekt der Atemwege. Außerdem kann der Verlust des Geruchssinns auch im Zusammenhang mit degenerativen Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson auftreten. "Nur weil man schlechter riecht, leidet man aber keineswegs automatisch an einer dieser Erkrankungen", betont Hummel.

Zugang zur Gefühlswelt geht verloren

Bisher wenig beachtet und erforscht ist die Tatsache, dass sich bei Menschen mit Geruchsverlust häufig auch depressive Symptome entwickeln. Oder anders gesagt: Wer nichts mehr oder nur mehr wenig riecht, neigt zu depressiven Verstimmungen bis hin zur schweren Depression. "Das liegt unter anderem daran, dass beim Verlust des Riechvermögens auch Strukturen im Gehirn betroffen werden, die für die Emotionalität wichtig sind", erklärt Hummel.

Ein weiterer Grund: Der Zugang zur Gefühlswelt kommt abhanden. Der Mensch verbindet mit jedem Geruch ein Gefühl oder eine Erinnerung. Wenn diese Information fehlt, geht auch ein Wahrnehmungspfad verloren. "Menschen mit einem reduzierten Riechvermögen riechen beispielsweise nur mehr einen Teil der Information. Sie nehmen vielleicht wahr, dass ein Geruch frisch oder intensiv ist, aber die Verbindungsoption fehlt", erklärt Veronika Schöpf, Gastprofessorin am Computational Imaging Research Lab (CIR) der Med-Uni Wien.

Erinnerungswelt wird eindimensionaler

Weil der emotionale Stimulus fehlt, sinkt die Lebensqualität. "Normalerweise führt emotionale Reizung dazu, dass man emotional aktiver wird. Dadurch wird auch das Leben bunter, erfüllter und tiefer. "Wenn bei vielen Erlebnissen und Erinnerungen plötzlich der zugehörige Geruch fehlt, wird das Leben deutlich ärmer, die Erinnerungswelt wird eindimensionaler und wirkt schwarz-weißer", erklärt Hummel.

Eine große Rolle spielt dabei das Essen. Wird der Geruch nicht mehr wahrgenommen, schmeckt auch das beste Haubenmenü nicht mehr. "Das ist ein dramatischer Verlust, weil sich ein großer Teil des Soziallebens über das Essen abspielt", sagt Hummel. Wem das Riechen und Genießen abhandengekommen ist, der isst automatisch weniger gern und zieht sich ein Stück weit zurück.

Unsicherheit, Isolation und sozialer Rückzug

Zusätzlich sind betroffene Menschen oft verunsichert und isolieren sich von der Gesellschaft. Wenn jemand seinen eigenen Geruch nicht mehr wahrnehmen kann, scheut er die Öffentlichkeit. Menschen mit eingeschränktem Geruchssinn fürchten sich nicht selten davor, Schweiß- oder Mundgeruch zu haben. "Das führt auf Dauer zu sozialer Isolation – man trifft sich bewusst seltener mit anderen", sagt Schöpf.

Studien zeigen, dass Menschen mit verlorenem oder eingeschränktem Geruchsvermögen weniger Partnerkontakte und kürzere Beziehungen haben. "Durch den Rückzug geht die soziale Komponente verloren und die soziale positive Feedbackschleife fehlt", ergänzt Schöpf. Das kann auch im Alltag zum Problem werden. Wenn der eigene Ehepartner oder die Kinder nicht mehr gerochen werden können, flachen Beziehungen ab.

HNO-Ärzte zu wenig geschult

Um sowohl den Verlust des Riechvermögens als auch die damit verbundene Depression behandeln zu können, muss beides erkannt und miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Das ist häufig nicht der Fall. Oft wird nur eine der beiden Erkrankungen diagnostiziert. "Manche Menschen sind beispielsweise wegen der Depression in Behandlung und wissen gar nicht, dass sie auch unter Geruchsverlust leiden", erklärt Schöpf. Dabei schade es den Patienten und koste das Gesundheitssystem viel Geld, wenn nur die sekundären Symptome behandelt würden.

Beide Experten finden, dass Riechstörungen in der Medizin generell sehr stiefmütterlich behandelt werden. Einen etablierten Therapiepfad für die Kombination aus Geruchsstörung und Depressivität gibt es bislang nicht. "Das liegt sicher auch daran, dass die wenigsten HNO-Ärzte zu diesem Thema geschult sind", sagt Schöpf.

Der Geruchssinn sei ein unglaublich wichtiger Sinn. Das sei aber in den Köpfen vieler behandelnder Ärzte noch nicht angekommen. Hummel veranschaulicht das mit einem Beispiel: "Wer nach einem Schädel-Hirn-Trauma auch seinen Geruchssinn verliert, dem wird meist vermittelt: 'Seien Sie froh, dass Sie überhaupt überlebt haben.' Dass der damit verbundene verlorene Geruchssinn die Lebensqualität deutlich einschränkt, wird häufig nicht ernst genommen."

Gleichzeitig behandeln

An der Uniklinik Dresden versuchen die HNO-Ärzte einen anderen Weg zu gehen. Hier wird nicht nur die Riechstörung, sondern auch die Depressivität beachtet. Je nach Ursache können eine Operation, Medikamente oder ein Riechtraining zielführend sein, um den Geruchssinn wieder zu erlangen.

Bereits vor mehr als zehn Jahren entwickelten Hummel und sein Team ein solches Riechtraining, das sich vor allem als Unterstützung bei der Regeneration von Patienten mit postinfektiösen Riechstörungen etabliert hat. Um die Depressivität in den Griff zu bekommen, wird aktiv mit Spezialisten aus dem Bereich Psychosomatik zusammengearbeitet. (Maria Kapeller, 28.10.2019)