Der Bauer verändert bei der Produktion seiner Waren auch Natur und Landschaft, nimmt also massiven Einfluss auf öffentliche Güter wie Biodiversität, Erholungswert von Landschaften oder die Qualität von Grundwasser.

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Stefan Dullinger ist Professor für Vegetation Science am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.

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Die Semesterfrage der Universität Wien fragt in diesem Semester "Wie schützen wir die Artenvielfalt?". Ein Thema, das noch viel zu wenig Beachtung findet, diese aber verdienen würde, wie Biologe Stefan Dullinger überzeugt ist. In seinem Beitrag "Der Mensch konsumiert, der Rest zahlt den Preis" legt er ausführlich dar, wie räuberisch der Mensch mit seiner Umwelt umgeht und welche Folgen das für Artenvielfalt und Biodiversität hat. Auf die relevantesten Postings im Forum reagiert er in diesem Beitrag:

Stefan Dullinger: Stimmt, über lange Zeiträume herrscht ein Kommen und Gehen von Arten. Aus Fossilfunden kann man die Raten, mit denen neue Arten entstehen und existierende aussterben, abschätzen. Für das Känozoikum, die Zeit seit dem Aussterben der Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren, wird die mittlere Aussterberate der Säugetiere, die fossil relativ gut dokumentiert sind, auf etwa eine Art pro 200 Jahre geschätzt. Das nennt man die "background extinction rate". Schätzungen schwanken, aber die Größenordnung passt einigermaßen. In den letzten 500 Jahren sind aber circa 80 Arten ausgestorben. Das entspricht also einer Art pro sechs Jahre, rund die dreißigfache Hintergrundrate! 22 Prozent der Arten stehen auf der globalen Roten Liste der Weltnaturschutzunion, das sind ganze 1.200 Arten. Würden sie in den kommenden 200 Jahren aussterben, hätten wir also eine Rate von sechs Arten pro Jahr, also die sechshundertfache Hintergrundrate! Die Ursache des Aussterbens ist in fast allen Fällen der Mensch, zum Beispiel über direkte Bejagung, Lebensraumverlust oder Verschleppung von Predatoren, Parasiten und Pathogenen.

Stefan Dullinger: Ich bin kein Experte für agrarische Produktion, an dieser Aussage ist aber meiner Meinung nach etwas dran. Es stimmt zwar definitiv nicht, dass Biolandwirtschaft keine positiven Effekte auf die Biodiversität hat – dazu gibt es inzwischen sehr viele Studien: In den meisten Fällen sind die Artenzahlen auf biologisch bewirtschafteten Feldern nämlich größer als auf konventionell bewirtschafteten. Auch wenn das nicht immer und nicht für alle taxonomischen Gruppen zutrifft, ist der Effekt im Durchschnitt positiv. Andererseits bräuchten wir natürlich dringend auch mehr Flächen, die gar nicht bewirtschaftet werden, da stimme ich vollkommen zu. Ob dazu wirklich weitere Intensivierung auf bestehenden landwirtschaftlichen Flächen notwendig ist, liegt angesichts von 20 bis 30 Prozent Ernteverlusten bei den wichtigsten Getreiden bei der Lagerung, dem Transport und vor allem simplem Wegwerfen von Lebensmitteln nicht so klar auf der Hand.

Stefan Dullinger: Selbstverständlich können auch vegetarische oder vegane Lebensmittel unökologisch erzeugt werden. Die Fleischproduktion hat aber einen besonders hohen Flächenverbrauch, was sie aus der Sicht des Artenschutzes problematisch macht. Diese Dinge hängen also sehr wohl zusammen. Im Übrigen ist der besonders hohe Fleischkonsum in Österreich auch aus gesundheitspolitischer Sicht schon oft kritisiert worden. Ich denke, es will niemand Vegetarismus verordnen, aber die Ernährungsgewohnheiten zumindest ein Stück weit zu verändern – zum Beispiel 30 statt 60 Kilo Fleisch pro Kopf pro Jahr – hätte eine Reihe von positiven Effekten. Nicht nur, aber auch auf die Biodiversität und das Klima.

Stefan Dullinger: Die Frage ist, ob diese Interpretation der Rolle des Bauern wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Viele Unternehmer produzieren Waren oder Dienstleistungen, um sie an Interessenten zu verkaufen, ein Tauschhandel, der die beiden Handelspartner betrifft und sonst niemanden. Der Bauer verändert aber bei der Produktion seiner Waren auch Natur und Landschaft, nimmt also massiv Einfluss auf öffentliche Güter wie Biodiversität, Erholungswert von Landschaften oder die Qualität von Grundwasser. Er "produziert" Kulturlandschaften, die für die Allgemeinheit viele "ökosystemare Dienstleistungen" erbringen. Natürlich gibt es auch bei anderen Produzenten ähnliche Kollateralphänomene, so zum Beispiel bei Energieerzeugern. Bei Bauern ist dieser Aspekt aber besonders ausgeprägt, und er betrifft sehr große Flächen. Aus meiner Sicht ist der Bauer daher beides, Unternehmer und "öffentlicher Dienstleister". Er sollte auch für beide Rollen entlohnt werden – idealerweise so, dass eine ökologische Güterproduktion auch ökonomische Vorteile bringt, und zwar nicht (nur) über den Preis der Produkte, sondern auch aus Mitteln, die die Allgemeinheit zur Verfügung stellt, die ja auch von dieser Art der Landwirtschaft profitiert, also aus steuerfinanzierten Subventionen.

Stefan Dullinger: Leider gibt es in Österreich tatsächlich viel zu wenig Geld für Biodiversitätsmonitoring. In anderen Ländern wie der Schweiz ist die Situation wesentlich besser. Dass dieses Thema im Umweltbundesamt niemanden interessiert, stimmt allerdings nicht. Es wird dort zum Beispiel gerade an einem Biodiversitätsmonitoring-System für Österreichs Kulturlandschaften gearbeitet, das Dauerbeobachtungen auf rund 1.000 Untersuchungspunkten beinhaltet und auch Insekten berücksichtigen wird.

Stefan Dullinger: Es ist natürlich richtig, dass eine demokratische Verfassung die wahlwerbenden Parteien dazu verleitet, unpopuläre Maßnahmen zu vermeiden oder auf die lange Bank zu schieben. Der Klimawandel gibt dafür aktuell wunderbaren Anschauungsunterricht. Genauso richtig ist allerdings, dass es in einer Diktatur sehr viele andere Faktoren gibt, die sinnvolle (umwelt)politische Maßnahmen verhindern können, so zum Beispiel ein erhöhtes Maß von Korruption und direkter Einflussnahme ökonomischer Interessengruppen auf die Regierenden oder simpel die individuellen charakterlichen oder intellektuellen Defizite des Diktators. Das Problem mit Diktaturen ist außerdem, dass, anders als in Demokratien, die Regierten nicht korrigierend eingreifen können, wenn das Boot in die falsche Richtung fährt. Längerfristig und im Durchschnitt glaube ich daher, dass Demokratien rationalere und bessere Politik machen als nichtdemokratische Systeme – auch wenn man angesichts des "great and unmatched wisdom" mancher aktueller Präsidenten daran zweifeln könnte. Abgesehen davon wollen wir alle – so nehme ich an – in keinem anderen System leben! Wie in anderen Beiträgen erwähnt, ist eine gut informierte Öffentlichkeit eine wesentliche Voraussetzung für rationale Politik in demokratischen Systemen – hier gibt es leider Defizite (nicht erst seit der Erfindung des Internets) und eine entsprechende Verantwortung der Medien, aber inzwischen auch aller, die irgendwelche Inhalte im Internet veröffentlichen oder teilen. (Stefan Dullinger, 17.10.2019)