Man möchte glauben, ein Tierpräparator sei die Geduld in Person. Nicht an diesem Morgen. Nachdem man Michael Flaschs Geschäft in Klosterneuburg-Weidling betritt, meint dieser schnoferlziehend: "Es tut mir leid, ich muss in einer halben Stunde weg, um ein Pferd abzuholen. Sonst schlagen die Verwesungsbakterien zu. Sie wissen schon, die sind verdammt schnell." Jetzt weiß man es.

Die Überreste des prämierten Tieres werden der nächste Job des Präparators sein. Flasch ist quasi schon auf dem Sprung zum Springpferd. Dabei strahlt die Location im Hinterhof des gelb angepinselten Biedermeierhäuschens alles andere als Hektik aus.

An den Wänden im Inneren – insgesamt werkelt Flasch auf 200 Quadratmetern – hängen unzählige Krickerln, kleine von Gämsen und große von afrikanischem Büffelgetier, das längst ausgeschnaubt hat. Die Hörner sind auf Holzbretter montiert, auf denen fein säuberlich Datum und Ort des Ablebens vermerkt sind. "South Africa XI 2017" zum Beispiel.

Die Nachfrage für Präparationen steigt, und sogar der Preis für das Ausstopfen einer Schwiegermutter ist schon angefragt worden. Die Jagd betrachtet Flasch als Notwendigkeit, vom Posieren mit erlegten Tieren hält er nichts.
Foto: Heribert Corn

Zu den Kunden Flaschs zählen viele Jäger, Leute, die Viecherln aller Art einerseits ins Jenseits, andererseits in die Werkstatt von Flasch befördern. Nicht selten "überleben" diese so manchen Auftraggeber. Ein eigenartiges Naturgesetz, möchte man meinen.

Während man so sinniert und über diesen tierisch-skulpturalen Tierfriedhof stakst (auch auf dem Fußboden liegen jede Menge Hörndln), betrachten einen unzählige Augenpaare von den Wänden. Manche blicken freundlich, andere stieren. Geschielt wird nicht. Aus der Mitte der Schar glotzt ein Mähnenspringer, eine Art Riesenziege und größter Stolz von Michael Flasch.

Gegenüber funkeln insgesamt 16 Augen samt dazugehörigen Schnepfen. "Ein Hund hat sie von der Wand des Besitzers geholt und sie wohl mit Beute verwechselt. Vielleicht wollte er auch nur spielen. Jedenfalls muss ich sie wieder in Form bringen", erzählt Flasch, der vor lauter Arbeit selten vor 21 Uhr aus dem Geschäft kommt.

Neben den Schnepfen liegt eine blaue Ikea-Tasche randvoll mit alten Wolfs- und Mufflonfellen. Darüber baumeln Keiler-Zähne. Weiters versammeln sich auf der Mini-Arche-Noah der etwas anderen Art: Antilopen, Murmeltiere, ein Weißbartgnu und allerlei anderes Horn- und Federvieh.

Das Plakat einer Ausstellung des Grafikdesigners Stefan Sagmeister pickt wie ein Fremdkörper an der Wand. Flasch hat für dessen "Beauty-Schau" im Wiener Mak einen Pfau präpariert. Und was ist mit den Stoßzähnen, die aussehen, als würden sie aus dem Fußboden wachsen? Ist so etwas nicht verboten?

"Nein, nur der Handel mit Tieren, die im Washingtoner Artenschutzabkommen Anhang 1 und 2 angeführt sind, ist strikt untersagt", weiß der Herr im Reich der toten Tiere. Das gelte auch für Nashörner. Ein solches ist dem Fachmann auch schon zwischen die Finger gekommen.

Fische und Reptilien sucht man hier, wo einst eine alte Mühle klapperte, vergebens. Die Präparation von Hecht, Hai und Co, für die es eine Gefriertrocknungsanlage benötigt, überlässt er anderen.

Zu den Kunden Flaschs zählen viele Jäger.
Foto: Heribert Corn

Hund auf Rollen

Sonst präpariert Flasch so ziemlich alles, was das Tierreich zu bieten hat, vom Kolibri über den Esel bis hin zur Giraffe, wobei es sich bei den großen Tieren meist um den Kopf mit Vorschlag handelt. Damit ist das Stück vom Kopf bis zum Hals beziehungsweise zur Schulter gemeint. Klar hat der Mann, der in seinem Leben bereits tausende Tiere präpariert hat, auch Skurriles auf Lager.

"Einer wollte wissen, ob er seine Schwiegermutter präparieren lassen könne, worauf ich ihm sagte, das sei verboten. Ein anderer gab mir den Auftrag, seinen verstorbenen Hund auf ein Brettchen mit Rollen zu montieren, damit er weiterhin mit ihm Gassi gehen kann." Schon schräg, oder?

"Ja, manchmal fehlt einfach die Natürlichkeit, und manches ist einfach nur gestört. Wenn eine Kundschaft den siebenten dahingeschiedenen Hamster in Folge für ihr Töchterchen präparieren lässt, sag ich ihr schon, man solle dem Kind aber bittschön sagen, dass man die Oma nicht ausstopfen kann."

Gerade Haustiere seien oft eine heikle Angelegenheit. "Der Kunde will genau seine Minki oder Pinki wiedersehen, und was dabei herauskommt, wirkt oft unnatürlich. Manche haben keinen Blick für die professionelle Präparation. Ich will ja keine freakigen Fabelwesen bauen."

Die Viecher in Flaschs Reich kreuchen und fleuchen zwar nicht mehr, aber sie schauen verdammt lebendig aus. Das muss man dem Meister lassen. Und stubenrein sind sie obendrein. (Unterhaltsamer Tipp: Im Gegensatz zu Meister Flachs Arbeit findet sich auf Facebook unter "badly stuffed animals" so manche danebengegangene Ausstopffratze. Dem Account folgen fast 25.000 Menschen.)

Flasch sieht seine Arbeit jener eines Fotografen verwandt. "Ich verstehe mich als plastischen Fotografen, mir geht es um die Lebendigkeit einer Momentaufnahme, um Anatomie", sagt der 49-Jährige, der die größten Probleme seiner Zunft im ausbleibenden Nachwuchs ortet und selbst seit drei Jahren Mitarbeiter sucht.

"Heute wollen ja alle studieren", sagt er und zuckt mit den Achseln. Dabei sei er bis zu seiner Pensionierung ausgebucht. Das Paradoxon: "Die Nachfrage steigt, und gleichzeitig stirbt das Gewerbe aus", so Flasch, der außerdem behauptet, seiner Zunft obliege das Privileg des ältesten Gewerbes der Welt, nicht der Prostitution.

"Gut, dass Sie nicht letzte Woche zu Besuch waren. Ich hatte drei Leoparden hier", erzählt Flasch nach einem weiteren, hektischen Blick auf die Uhr. Was soll daran gut sein, die Raubkatzen nicht herzuzeigen? "Sonst hätten sich die Leser wieder besonders aufgeregt. Ich habe einmal im 17. Bezirk einen Löwen abgeholt, da hat mir eine Frau 'Tiermörder' nachgeschrien."

Apropos: In der Werkstatt gleich neben dem Geschäft – hier darf nicht fotografiert werden – stehen vier ausgehöhlte Elefantenfüße wie Papierkörbe. Oder Schirmständer. Was wirklich daraus wird? "Hocker", antwortet der Präparator und meint, "ich würde mich ja nicht auf so etwas draufsetzen."

Eine ganze Arche Noah gefüllt mit präparierten Tieren findet man in Michael Flaschs Geschäft in Klosterneuburg-Weidling. Obwohl das Geschäft gut läuft, fehlt es an Nachwuchs in der Zunft – laut Flasch das "älteste Gewerbe der Welt".
Foto: Heribert Corn

180.000 Euro habe der Kunde dafür bezahlt, das Tier schießen zu dürfen. "Der Großteil des Geldes fließt in die Bezahlung von Wildhütern, die Tiere vor Wilderern schützen", sagt Flasch, der sich als Jäger mit Leib und Seele bezeichnet und die Jagd als Erhalter des Wildbestands und von dessen Gleichgewicht sieht.

"Auch weil es die großen Beutegreifer wie Bär oder Wolf in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr gibt. Man muss es ja nicht wie der einstige Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand machen und an die 275.000 Tiere schießen. Deppen gibt's freilich überall. Manche Jäger wissen nicht einmal mehr, was sie für ein Tier schießen."

Von Menschen, die mit erlegten Tieren posieren und ihnen auch noch den Fuß aufs Haupt stellen, hält Flasch ungefähr genauso viel. "Das sind doch Idioten. Ich bin froh, dass ich die Ehrfurcht schon von meinem Vater und Großvater vermittelt bekam. Wir entnehmen der Natur etwas, das hat etwas mit Dankbarkeit zu tun. Das sollte man schon den Kindern näherbringen."

Gruselige Erwartung

Schön und gut. Aber muss man sich ein Viech deswegen gleich an die Wand hängen? Flasch sieht das romantischer. Er hält nichts von einer Trophäe, um sich mit dieser zu brüsten, sondern sieht ihren Sinn und Zweck darin, sich an einen ganz besonderen Moment in der Natur zu erinnern.

In seiner Werkstatt ist übrigens weit und breit kein Kadaver, kein Blutfleck oder ein sonstiges Ding zu sehen, das sich der Laie an einem solchen Ort in gruseliger Erwartung vorstellen würde. Wahrscheinlich hat er aufgeräumt. Wenn das Pferdchen erst einmal da ist, dürfte es anders aussehen. Derweil wirkt die Location eher wie eine Tischlerei. Abgesehen von den Elefantenfüßen. Ebenso ist es verwunderlich, dass es nach nichts riecht.

"Sie meinen stinkt", sagt Flasch und erklärt, dass er die Überreste seiner Schützlinge in einem Tiefkühlhaus aufbewahrt, weil er den Geruch von Verwesung hasse. Diesen hat er während seiner Ausbildung lang genug aushalten müssen. Nein, das Gefrierhaus wird nicht hergezeigt, genauso wenig wie sich der Mann bei der Arbeit über die Schulter schauen lässt.

"Vor allem wegen der Konkurrenz", sagt Flasch, während der mitgebrachte Fotograf mit dem Schädel eines Wasserbüffels liebäugelt, der grimmig von der Wand stiert. Mit ein bisschen Fantasie hört man ihn noch am Fuße des Kilimandscharo mit den Hufen scharren.

Für 1.800 Euro würde Flasch den Burschen aus Afrika dem Fotografen stante pede ins Auto laden. Wäre es nicht dringend an der Zeit, endlich das Pferd abzuholen? Sie wissen schon, wegen der Verwesungsbakterien. Die sind verdammt schnell. (Michael Hausenblas, RONDO, 18.10.2019)