Die türkischen Streitkräfte wollen ihren Beschuss nicht einstellen.

Foto: Ozan KOSE / AFP

Bild nicht mehr verfügbar.

Der türkische Präsident bei seiner Rede am Mittwoch.

Foto: AP Photo/Burhan Ozbilici

Istanbul / Washington / Tell Abyad – Die USA haben die Türkei wegen der Invasion im Norden Syriens weitgehend aus der internationalen Militärkoalition gegen den "Islamischen Staat" (IS) ausgeschlossen. Nach Informationen des deutschen Nachrichtenmagazins "Spiegel" ordnete das Pentagon bereits am 9. Oktober an, dass die Türkei im Hauptquartier der Anti-IS-Koalition im katarischen al-Udeid keinerlei Aufklärungs- oder Operationsdaten der Allianz mehr erhält. An diesem Tag hatte das türkische Militär die ersten Luftangriffe geflogen und kurdische Stellungen mit Artillerie beschossen.

Der Koalition gehören über 50 Staaten an. Hintergrund der Strafmaßnahme sind Befürchtungen der USA, dass die Türkei die Aufklärungsergebnisse für die Planung ihrer eigenen Offensive gegen die Kurden benutzen könnte.

Inzwischen hat die syrische Armee nach russischen Angaben offiziell die Kontrolle über von den USA aufgegebene Militärstützpunkte im Nordosten Syriens übernommen. Dies berichtete das staatliche russische Fernsehen am Mittwoch. Vor einer Woche hatte US-Präsident Donald Trump die US-Truppen aus der Region abgezogen und damit den Weg für die türkische Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG freigemacht. Die YPG hatte den IS in der Gegend besiegt und kontrolliert seither den Norden Syriens.

Erdoğan spottet über Trump

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat über die Flut von Tweets seines Amtskollegen in Washington gespottet und angekündigt, die Äußerungen von Donald Trump im Kurzmitteilungsdienst Twitter künftig zu ignorieren. "Wir haben bisher die Äußerungen von Trump gelesen, doch wir sind an den Punkt gelangt, da können wir diese Tweets nicht mehr verfolgen", sagte Erdoğan laut einem Pressebericht vom Mittwoch.

Trump ist für seinen exzessiven Gebrauch von Twitter bekannt und verkündet regelmäßig wichtige Entscheidungen über den Onlinedienst. Auch den Rückzug der US-Soldaten aus Nordsyrien, der den Weg freimachte für die türkische Offensive in der Region, verkündete Trump über Twitter. Seitdem setzte er täglich eine Reihe von Tweets ab, in denen er seine Entscheidung rechtfertigte, die Offensive kommentierte und der Türkei mit Sanktionen drohte.

Treffen mit Pence und Pompeo doch zu

Zuvor hat Erdoğan entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung, nun doch eingewilligt, US-Vizepräsident Mike Pence und US-Außenminister Mike Pompeo bei deren Besuch in Ankara am Donnerstag zu Gesprächen über die Offensive zu treffen. Das kündigte sein Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun am Mittwoch auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter an.

Zuvor hatte Erdoğan dem Sender Sky News nach einer Rede im Parlament gesagt: "Ich werde sie nicht treffen. Sie werden ihren jeweiligen Gegenpart treffen. Ich werde nur sprechen, wenn Trump kommt." Pence und Pompeo wollen sich in Ankara für eine Waffenruhe zwischen der Türkei und den YPG-Milizen einsetzen.

Erdoğan hat eine Waffenruhe bereits abgelehnt, solange die Kurdenmiliz in der von der Türkei geplanten "Sicherheitszone" entlang der türkischen Grenze präsent sei. In der Rede vor dem Parlament wies er jede Vermittlung zurück, da die Türkei sich nicht mit einer "Terrororganisation" an einen Tisch setzen werde. Die Kämpfer der YPG forderte er zum sofortigen Abzug aus dem Gebiet auf. Keine Macht könne die Offensive stoppen, bis sie ihre Ziele erreicht habe.

Die Türkei betrachtet die YPG als Ableger der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation. Die türkische Militäroffensive stößt international auf Kritik. Angesichts der von den USA verhängten Sanktionen gegen die Türkei zeigte sich Erdoğan wenig beeindruckt. "Über Sanktionen müssen wir uns keine Sorgen machen", sagte er.

Assads und russische Truppen in Manbij

Am Mittwoch will sich auch der UN-Sicherheitsrat erneut mit dem Konflikt befassen. Schon am vergangenen Donnerstag hatten sechs EU-Länder per Mitteilung ein Ende der Offensive gefordert. Der Rat hatte sich aber nicht geschlossen auf eine gemeinsame Mitteilung einigen können.

Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und der verbündeten russischen Armee patrouillierten seit Dienstag in Nordsyrien. US-Truppen waren zuvor aus der Stadt Manbij abgezogen, sie überließen Assad und Russland das Gebiet. Die syrische Armee habe die "volle Kontrolle" über Manbij und über "umliegende Gebiete" übernommen, teilte das russische Verteidigungsministerium mit und sprach von einem "organisierten Zusammenwirken mit der türkischen Seite".

Treffen in Moskau

In den kommenden Tagen wollen sich der russische Präsident Wladimir Putin und Erdoğan treffen. Darauf hätten sich die beiden Politiker in einem Telefonat verständigt, teilte Putins Büro am Dienstagabend mit.

Putin habe Erdoğan nach Moskau eingeladen, dieser habe die Einladung angenommen, hieß es. Die Initiative sei von der Türkei ausgegangen, erklärte Putins Büro. Die beiden Staatschefs seien sich einig gewesen, dass Konfrontationen zwischen Einheiten der türkischen Armee und der syrischen Streitkräfte verhindert werden müssten. Putin habe zudem gewarnt, dass inhaftierte Jihadisten durch die Offensive freikommen könnten. Die Kurden haben bislang gegen den IS gekämpft und die Lager, in denen seine Kämpfer sowie deren Angehörige festgehalten werden, bewacht.

Zölle auf türkischen Stahl

Trump legte bereits Gespräche über ein Handelsabkommen mit der Türkei auf Eis und hob die Zölle auf türkischen Stahl auf 50 Prozent an. Er drohte, die türkische Wirtschaft "umgehend zu zerstören, wenn die türkische Führung ihren gefährlichen und zerstörerischen Weg fortsetzt". Der Abzug der US-Truppen wurde von den Kurden als Verrat empfunden, nachdem sie jahrelang mit den USA gegen den IS gekämpft hatten.

Nach Angaben der UN-Organisation für Migration sind inzwischen mindestens 190.000 Menschen geflohen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kündigte angesichts der "extrem instabilen Situation" an, alle internationalen Mitarbeiter aus der Region abzuziehen.

US-Justiz klagt türkische Halkbank

Am Dienstag erhob ein Gericht in New York außerdem Anklage gegen das staatliche türkische Kreditinstitut Halkbank. Es gehe wegen Betrugs, Geldwäsche und Verstößen gegen die Sanktionen in sechs Fällen gegen die Bank vor, erklärte das Justizministerium. Der stellvertretende Justizminister John Demers wirft der Bank eine der bisher "schwersten Verletzungen der Iran-Sanktionen" vor.

Die Anklage bezieht sich auf die Jahre 2012 bis 2016. In diesem Zeitraum habe die Halkbank dem Iran den Zugang zu Fonds im Wert von mehreren Milliarden Dollar ermöglicht. Über diese Praxis habe die Bank die US-Aufsichtsbehörden getäuscht. Bei der Umgehung der Sanktionen sei sie von hochrangigen Vertretern des Iran und der Türkei unterstützt worden.

Die US-Justiz war zuvor schon gegen den stellvertretenden Chef der Halkbank vorgegangen. Mehmet Hakan Atilla war im Jänner 2018 wegen Verstößen gegen die Iran-Sanktionen verurteilt worden. In dem Verfahren ging es um Gold-für-Öl-Geschäfte, die der türkisch-iranische Geschäftsmann Resa Zarrab zwischen 2010 und 2013 über die Halkbank abgewickelt hatte. Im Juli wurde Atilla vorzeitig aus der Haft entlassen. Die neue Anklage dürfte die Spannungen zwischen Washington und Ankara nochmals verschärfen. (APA, red, Reuters, 16.10.2019)