Knatternd setzen sich die allradgetriebenen kleinen Traktoren mit Anhängern in Bewegung. Sie werden uns und unser Werkzeug die nächsten zwei Wochen auf 760 Meter Seehöhe bringen, auf einem Weg, den man mit einem Auto nicht befahren will. Oben angekommen haben wir eine tolle Aussicht auf die Landschaft, die durch den Smog des Stahlwerks getrübt wird.

Die Stahlstadt Zenica ist die viertgrößte Stadt Bosnien-Herzegowinas und liegt 70 Kilometer nordwestlich von Sarajevo im Bosna-Tal in Zentralbosnien. Die Bosna ist einer der großen Süd-Nord verlaufenden Flüsse, durchschneidet die Dinarischen Alpen und stellt seit jeher eine wichtige Verkehrsader zwischen Adria und Mitteleuropa dar. Während sich die Bosna über weite Strecken durch ein enges Tal mit steil ansteigenden Hängen schlängelt, öffnet sich die Landschaft immer wieder. In einem solchen Becken liegt Zenica.

Blick in das Zenica-Becken von der Hügelkette Gradišće aus.
Foto: OREA/ÖAW

Visualizing the Unknown Balkans

Innerhalb des vom Innovationsfonds der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geförderten Projekts "Visualizing the Unknown Balkans" wird unter anderem die bronze- und eisenzeitliche Besiedelung des Zenica-Beckens erforscht. Im August fand eine vierwöchige Ausgrabungskampagne in internationaler Kooperation zwischen dem Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (Orea) der ÖAW und dem Museum der Stadt Zenica statt. Vorbereitende Maßnahmen beinhalteten Feldbegehungen, Geomagnetik und Airborne-Laserscan-Daten.

Leben in der Höhe

Auf den Anhöhen des Zenica-Beckens und seiner Seitentäler befinden sich zahlreiche befestigte Höhensiedlungen aus der Bronze- und Eisenzeit (bisher sind 19 bekannt). Diese liegen oft in Sichtverbindung zueinander und können gleichzeitig das Tal einsehen, haben also eine strategisch wichtige Lage. Anhand von an der Oberfläche aufgesammeltem Fundmaterial geht man davon aus, dass einige zeitgleich bewohnt wurden. Diese Annahme kann aber nur durch Ausgrabungen bestätigt werden. Im ersten Schritt fokussiert sich das Projekt auf zwei Bereiche des Zenica-Beckens: die Fundstellen auf dem Hügelrücken Gradišće und die auf der gegenüberliegenden Talseite gelegene Höhensiedlung Kopilo.

Im Vordergrund die Höhensiedlung Kopilo. Auf der anderen Seite des Tals die Hügelkette Gradišće.
Foto: OREA/ÖAW

Vergessene Burgen

Die im Nordwesten des Beckens gelegene Hügelkette Gradišće (slawisch: kleine Burg) wird von zwei Höhensiedlungen eingegrenzt. Mittlerweile dicht bewaldet, offenbart das Lidar-Höhenmodell rege menschliche Tätigkeit. Am Westende befindet sich in über 900 Metern Höhe die Höhensiedlung Negraja. Das Plateau wird an drei Seiten von steil abfallenden Hängen begrenzt. Es ist seit dem letzten Bosnienkrieg bekannt, da sich dort Schützenstellungen befanden. In deren Aushub fand man zahlreiche spätbronzezeitliche Keramik. Diese Funde zogen die Aufmerksamkeit von Mario Gavranović auf sich und leiteten schließlich auch die momentane Forschungstätigkeit ein. Bei der Feldbegehung und im Höhenmodell ist im Osten des Plateaus von Negraja eine Wall-Graben-Konstruktion gut sichtbar, die einerseits den Zugang zur Siedlung darstellte und diese andererseits absicherte.

Geht man von Negraja aus weiter am Grat entlang Richtung Osten, fallen Steinansammlungen mit einem Durchmesser von bis zu zehn Metern auf. Auch auf dem Höhenmodell sind diese erkennbar. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass sie sich in Konzentrationen von zwei oder mehr befinden und oft in Sichtweite zueinander und dem Tal positioniert sind. Es wird vermutet, dass es sich um Grabhügel (Tumuli) handelt, die nach der Grablegung des Toten errichtet wurden.

Die Grabhügel links und rechts wurden in diesem Jahr untersucht. Unter den Bäumen versteckt sich noch ein vierter.
Foto: OREA/ÖAW

Steinmonumente für die Toten?

Um die Hypothese zu überprüfen und auch die Zeitstellung der Errichtung der mutmaßlichen Grabhügel zu bestimmen, wurden zwei ausgewählt und innerhalb von zwei Wochen erstmals systematisch ausgegraben. Neben den gefundenen urgeschichtlichen Keramik- und Knochenfragmenten ist es aber auch der genauere Aufbau der Strukturen, der die Ausgrabungen so interessant macht. Im Zentrum von Tumulus 1 konnte eine ringförmige Trockenmauer freigelegt werden. Wie schon erwähnt, wurden nur Fragmente geborgen. Man schließt daraus, dass die Gräber beraubt oder bewusst aufgelöst wurden, man den Steingrabhügel aber danach wiederherstellte. Die Auswertung der genommenen Proben wird offenbaren, zu welcher Zeit diese errichtet wurden.

Tumulus 1.
Foto: OREA/ÖAW

Den Taleingang im Blick

Am östlichen Ende der Hügelkette, den Ein- und Ausgang des Zenica-Beckens überblickend, liegt das Plateau der Siedlung Ravna. Hier wurden zwei kleine Schnitte angelegt. Aufgrund der Bodenbearbeitung der modernen Landwirtschaft stößt man schon wenige Zentimeter unter der heutigen Oberfläche auf urgeschichtliche Funde. Der Besuch des Geologen Stjepan Ćorić von der geologischen Bundesanstalt in Wien war sehr aufschlussreich, da er aufgrund der Entstehungsgeschichte des Zenica-Beckens nicht davon ausgehen kann, dass es sich um ein natürliches Plateau handelt, dieses also künstlich angelegt wurde. Er wies auch darauf hin, dass das Gestein hier Flint enthält, der in der Urgeschichte für allerlei Steingeräte verwendet werden konnte. Daher wurden am südlichen Hang direkt unter der Höhensiedlung Gesteinsproben entnommen, die dem Rohmateriallabor von Orea sehr willkommen sind, da aus dieser Region bisher kaum Vergleichsproben zur Verfügung stehen.

Vom Plateau, auf dem sich die Höhensiedlung Ravna befindet, aus kann man den Eingang des Zenica-Beckens überblicken.
Foto: OREA/ÖAW
Im Höhenmodell ist das Plateau von Ravna mit seiner Befestigung gut sichtbar.
Foto: OREA/ÖAW

Auf der anderen Seite des Beckens

Erste Untersuchungen der Fundstelle Kopilo im vorigen Jahrhundert deuteten auf eine Besiedelung in der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit hin, die durch unsere Ausgrabungen bestätigt werden konnte. In zwei Grabungsschnitten kam neben Hinweisen auf Hauskonstruktionen auch ein Kieselbelag ans Licht, der wohl als Straße interpretiert werden kann. Die Entdeckung einer latènezeitlichen Fibel und scheibengedrehter Keramik deutet darauf hin, dass sich die Siedlungsdauer mit einem Ende zwischen 4. und 2. Jahrhundert v. Chr. länger erstreckt als bisher angenommen.

Video Fundstelle Kopilo.
OREA News
Ausgrabungen in der Höhensiedlung Kopilo.
Foto: OREA/ÖAW
Ein Highlight in der letzten Woche, der Fund einer männlichen Figurine in Kopilo.
Foto: OREA/ÖAW

Charakteristisch für diesen Raum in der Bronzezeit ist die reich verzierte und qualitativ hochwertige Keramik. Die Motive reichen von eingeritzten parallelen oder sich kreuzenden Linien über aneinander folgende Dreiecke. Weitere Funde beinhalten Tierknochen, Spinnwirteln, Webgewichte sowie Eisenobjekte und decken damit eine Bandbreite an Artefakten ab, die im Alltag benötigt wurden, was Aufschluss über die Lebensweise und Siedlungsmuster der Menschen der damaligen Zeit gibt. Eine männliche Figurine trat in der letzten Grabungswoche ebenfalls zutage und kennt in diesem Raum bislang keine Entsprechungen. (Nicole Mittermair, Irene Petschko, Mario Gavranović, 17.10.2019)