Angesichts des Schwalls an seltsamen Meldungen, die der US-Präsident tagtäglich absondert, ist eine seiner haarsträubenderen Ideen womöglich schon wieder halb vergessen: Im Sommer wollte Donald Trump Grönland kaufen. Über seine Absichten kann man nur spekulieren: Waren es geostrategische Überlegungen? Oder die Bodenschätze?

Vielleicht ging es auch nur um sein Versprechen "Making America Great Again": Mit Grönlands zwei Millionen Quadratkilometern zusätzlich würden die USA Kanada überholen und zum zweitgrößten Staat der Erde werden. Doch die Dänen verweigerten den "Deal" und ließen sich das arktische Territorium nicht abkaufen. Die logische Folge: Trump schmollte wie ein Siebenjähriger und sagte prompt seinen Staatsbesuch ab.

Eine Expedition als Hochzeitsreise

Zu Dänemark gehört Grönland ganz offiziell seit 1933. Und just zu dieser Zeit befand sich der niederländische Zoologe und Verhaltensforscher Niko Tinbergen gemeinsam mit seiner Frau an der wenig erforschten Ostküste der größten Insel der Welt. Als die beiden im Juli 1932 aufbrachen, hatte Tinbergen mit 25 gerade seinen Doktor in Zoologie gemacht, seine Frau Lies war überhaupt erst 20. Die abenteuerliche Expedition, bei der aufwendige ornithologische Beobachtungen im Zentrum standen, war zugleich auch eine Art Hochzeitsreise, denn die beiden hatten unmittelbar vor der Abfahrt geheiratet.

Neben den Vogelbeobachtungen hat sich der spätere Verhaltensforscher, der 1973 gemeinsam mit seinem Freund Konrad Lorenz den Medizinnobelpreis erhalten sollte und der Richard Dawkins an der Uni Oxford zu seinen Schülern zählte, Notizen über Land und Leute gemacht. Und 85 Jahre nach der niederländischen Originalausgabe liegt dieser prächtig illustrierte Bericht über Tinbergens insgesamt 14 Monate bei den ostgrönländischen Inuit – den Tunumiit – nun unter dem Titel "Eskimoland" endlich auch auf Deutsch vor.

Jäger, Fischer und Sammler

Die Bewohner des Distrikts Ammassalik waren damals noch traditionell lebende Jäger, Fischer und Sammler, die sich ihre Existenz durch Fischfang, aber vor allem durch das Bejagen von Robben, Narwalen, Grönlandhaien oder Eisbären sicherten.

Tasiilaq, die wichtigste Siedlung des ostgrönländischen Distrikts Ammassalik, um 1900.
Foto: Th. N. Krabbe, gemeinfrei (wikimedia)

Arbeitsteilung gab es bei diesen Menschen, die bis dahin nur wenig Kontakt mit der westlichen Zivilisation hatten, nur zwischen Männern und Frauen. Ansonsten machte jeder alles selbst (von der Nahrungsbeschaffung über die Kleiderherstellung bis zum Kajakbau), was dazu führte, dass die Gäste aus den Niederlanden zunächst als "unbeholfene Tölpel" wahrgenommen wurden, weil ihnen logischerweise viele einschlägige Fähigkeiten und Kenntnisse fehlten.

Eskimorollentraining bei Minusgraden

Doch die Tinbergens lernten schnell – nicht nur die Sprache, sondern auch das Stopfen der Fellschuhe (Lies), das Jagen von Robben oder die Eskimorolle (Niko), um nach einem eventuellen Kentern des von den Inuit maßangefertigten Kajaks dem fast sicheren Tod zu entgehen. (Das kurzfristige Untertauchen im eiskalten Meerwasser, das aufgrund des Salzgehalts Minusgrade hatte, beschreibt der Naturbursch Tinbergen als "erfrischend".)

In dem Zusammenhang kritisiert der Verhaltensforscher aber auch die kindliche Sorglosigkeit vieler Inuit. Denn nicht wenige hätten es nie richtig gelernt, wie man sich nach dem Kentern wiederaufrichtet, obwohl das nicht ungefährliche Harpunieren von Robben aus dem Kajak eine der damals wichtigsten Jagdtechniken war.

Eine norwegische (und ziemlich voyeuristische) Dokumentation über die Ostgrönländer aus dem Jahr 1926, also kurz vor dem Besuch Tinbergens. Am Beginn wird der typische Trommeltanz gezeigt, ab 9:11 ist der (wohl eher inszenierte) dramatische Überlebenskampf eines gekenterten Kajakjägers zu sehen.
Holger Lockertsen

Verrottete Bartrobbe

Die Niederländer, die wenig Berührungsängste mit den großzügigen Gastgebern zeigten, freundeten sich auch mit der grönländischen Kulinarik an, die eher wenig vegan war: Zu den Hauptnahrungsmitteln zählten unter anderen Robben-, Wal- und Eisbärenfleisch, Lachs, Seeschwalbeneier, Schneehühner, aber auch Seetang oder bittere Krähenbeeren. Nur bei der vier Monate lang fermentierten oder, genauer, im Boden eingegrabenen und halb verrotteten Bartrobbe, einer ostgrönländischen Köstlichkeit, ekelte es die Gäste dann doch ein wenig.

Auch in anderen Fragen der Hygiene herrschten – jedenfalls zu Tinbergens Zeit – bei den Tunumiit nicht gerade westliche Standards. Das hatte auch ganz praktische Gründe: Im Winter etwa wusch man sich prinzipiell nicht – und schon gar nicht das Gesicht, weil das der überlebenswichtigen Fettschicht der Haut schaden würde.

Prägende Jahre für die Ethologie

Für Tinbergens spätere Karriere als Verhaltensforscher dürfte die Reise prägend gewesen sein, wie sein Schüler und Biograf Hans Kruuk vermutet: Sein späteres Verhältnis zu Tieren war dank der Zeit als "Jäger" auf Grönland wenig sentimental. Und das eher mechanistische Bild vom (angeborenen) Tierverhalten, das er in den Jahren danach gemeinsam mit Lorenz zeichnete, geht womöglich auch auf die damaligen Erfahrungen zurück.

Ganz gewiss machte ihn der Aufenthalt in der Arktis zu einem genauen und einfühlsamen Beobachter menschlichem Verhaltens, dem wir fast 90 Jahre später faszinierende Einblicke in die traditionelle Kultur arktischer Jäger verdanken, die als durchaus glückliche Menschen beschrieben werden.

Die etwa 3.400 heute lebenden Ostgrönländer haben viele ihrer Traditionen bis heute bewahrt – etwas anders als ihre Landsleute in Westgrönland. So richtig unbeschwert und glücklich scheint man in Grönland aber nicht mehr zu sein: Die Suizidrate unter den rund 56.000 Inselbewohnern ist die mit Abstand höchste der Welt. (Klaus Taschwer, 18.10.2019)

Zum Vergleich: Tasiilaq im Jahr 2009. Die westliche Zivilisation hat auch hier Einzug gehalten.