Heute müssen Drohnen meist von Hand gesteuert werden. Künftig könnten sie aber ganz allein Kraftwerke, Windräder oder Katastrophengebiete inspizieren.

Foto: images / Westend61

Margarita Chli leitet das Vision for Robotics Lab an der ETH Zürich.

Foto: Chli

Bei der Veranstaltung World Minds erklärte Margarita Chli im Vorjahr die Grundzüge ihrer Forschung. Video: World Minds

WORLD.MINDS

Nicht nur Autos sollen künftig autonom steuern, auch Drohnen könnten ihre Wege selbst finden. Dabei gibt es besondere Herausforderungen: Rechenkraft und Sensortechnik, die man in die Fluggeräte packen kann, sind stark begrenzt. Die auf autonome Drohnen spezialisierte Computerwissenschafterin Margarita Chli von der ETH Zürich erklärt, wie es trotzdem funktioniert: Sie orientiert sich dafür am visuellen Sinn des Menschen.

STANDARD: Warum konzentrieren Sie sich gerade auf Bilddaten als Art der Wahrnehmung? Laserscans oder Radarsysteme sind in mancher Hinsicht leistungsfähiger.

Chli: Man hat für den Menschen gezeigt, dass sehr viel Gehirnleistung für die Verarbeitung visueller Eindrücke verwendet wird. Allein durch das Sehen sammeln wir sehr viele Informationen über die Situation, in der wir uns befinden. Laser und Radar ist für viele Anwendungen wichtig, Kameras sind aber heute überall. Sie sind sehr mobil, klein und günstig. Wenn wir also eine Wahrnehmungsform entwickeln, die auf Bildern basiert, dann haben wir ein sehr breites Nutzungsspektrum. Wir können die entwickelten Algorithmen in alle möglichen Kameraanwendungen bringen.

STANDARD: Sie arbeiten mit Drohnen. Warum nicht mit autonomen Autos oder Haushaltsrobotern?

Chli: Zum einen ist es faszinierend, dass sie im dreidimensionalen Raum agieren. Sie können sich sehr schnell nach oben bewegen, um Übersicht zu gewinnen, knapp am Boden bleiben oder kopfüber fliegen. Diese Fähigkeiten bringen interessante Herausforderungen mit sich. Weil Drohnen so agil sind, brauchen sie auch schnelle Algorithmen. Wir können in die kleinen und leichten Geräte aber nicht dieselbe Sensorik oder Rechenleistung hineinpacken wie in ein Auto. Schaffen wir es, eine Drohne mit den verfügbaren Mitteln zu steuern, dann kann man diese Technologie auch besser auf andere Anwendungen ausweiten, die nicht diesen Restriktionen unterliegen.

STANDARD: Um autonom zu agieren, muss sich eine Drohne selbst im Raum verorten. Wie geben Sie ihr diese Fähigkeit?

Chli: Satellitennavigation zeigt eine Position auf einer vorgegebenen Karte. In der robotischen Wahrnehmung wollen wir aber so wenig wie möglich auf vorgegebene Karten oder Signale von außen zurückgreifen. Nutzt man Kameras, verändert sich die Bildinformation von einer Aufnahme zur nächsten. Darauf aufbauend kann man beginnen, eine Karte zu generieren. Sie wird sich stark von einer Karte unterscheiden, die Menschen nutzen, und kann beispielsweise aus einer dreidimensionalen Punktwolke bestehen. Ein intelligenter Roboter muss zusätzlich aber wissen, dass einige Punkte zu einem Sessel gehören, andere aber zu einem Glas, bei dem man bei der Interaktion vorsichtiger sein muss.

STANDARD: Wie gut funktioniert das autonome Fliegen bereits?

Chli: Vor einigen Jahren konnten wir zeigen, dass ein autonomer Flug einer kleinen Drohne mit nur einer Kamera und einem Trägheitssensor zu machen ist – in Echtzeit und ganz ohne Satellitennavigationssignale.

STANDARD: Welche Strategien gibt es, mit den limitierten Sensor- und Rechenkraftressourcen an Bord einer Drohne umzugehen?

Chli: Wir versuchen aus jeder Hardware das bestmögliche herauszuholen. Auf der Seite der Algorithmen fragen wir uns, wie man ein Ergebnis mit einer effizienteren Codierung erreichen kann. Dann gibt es methodische Fragen: Welche Information benötigen wir eigentlich? Je schneller die Berechnungen, desto weniger exakt sind die Ergebnisse. Man muss eine Balance zwischen Präzision und Effizienz finden. Wir fragen uns: Was geht gerade noch? Wir flirten stets mit den Grenzen.

STANDARD: Welche Probleme beschäftigen Sie im Moment?

Chli: In einem Projekt arbeiten wir daran, mehrere Drohnen zur Messung einer Strahlenbelastung in einem kontaminierten Areal zu verwenden und Strahlungsquellen zu identifizieren. Wir beschäftigen uns nicht nur mit Drohnen. Smartphones stehen in einem anderen Projekt im Zentrum. Hier kreieren die Handys eine Landkarte ihrer Umgebung und tauschen Daten untereinander aus. Die gemeinsam erstellten Umgebungskarten könnten zur Basis einer neuen Art von kollaborativen Spielen werden.

STANDARD: Arbeiten Sie auch mit Drohnenschwärmen, die nicht zentral koordiniert werden?

Chli: Im Labor arbeiten wir an Systemen, bei denen die Daten in einer Cloud zusammenlaufen. Sind viele Geräte gleichzeitig im Einsatz, wird es aber eng mit den Datentransfers. Deshalb beschäftigen wir uns mit verteilten Systemen, bei denen Drohnen direkt kommunizieren. Theoretisch ist die Verteilung der Berechnungen möglich, in der Praxis ist die Kommunikation aber noch limitiert. Daten gehen verloren oder kommen zu spät an. Ein Ziel wäre, Systeme zu schaffen, in denen jede Drohne nur mit ihrer Nachbarin kommuniziert, nicht mit allen Drohnen im Schwarm. Es ist wie in der Gesellschaft der Menschen: Ein Roboter muss nicht alles wissen. Er kann seinen Nachbarn fragen, der seine eigene Spezialisierung, seine eigenen Informationsquellen hat.

STANDARD: Autonome Drohnen werden auf ihre jeweiligen Anwendungen hin getrimmt. Ist es denkbar, dass sie bald auch in beliebigen Umgebungen einsetzbar sind?

Chli: In einer sehr kontrollierten Umgebung wie in einer Fabrikshalle ist es einfacher. Man kann die Umgebung so modifizieren, dass die Navigation erleichtert wird. Man kann sich auf die konkreten Umstände wie die Beleuchtung einstellen. Geht man aber raus in die Natur, hat man Sonne, Regen, Wind oder Blätter, die von Bäumen fallen. Algorithmen zu gestalten, die mit dieser Dynamik umgehen können, stellt uns vor große Herausforderungen. Da sind wir noch weit weg.

STANDARD: Welchen Einfluss wird die zunehmende Autonomie von robotischen Systemen auf die Gesellschaft haben?

Chli: Ich bin Optimistin. Es gibt bereits Staubsaugerroboter, autonomes Fahren oder Robotik in der Chirurgie. Wir gewöhnen uns langsam daran. Smartphones gibt es erst seit wenigen Jahren, viele Menschen können sich aber kein Leben mehr ohne sie vorstellen. Ich glaube, eine ähnlich massive Veränderung steht uns auch mit Robotern bevor. (Alois Pumhösel, 21.10.2019)