Eine Bernsteinkette hilft Babys beim Zahnen nicht, im Gegenteil, sie ist ein Risiko, warnen Kinderärzte.

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Eltern kennen das Quengeln der Kinder, wenn die Zähne wachsen. Sie spucken, sind unleidlich, manche haben sogar erhöhte Temperatur. "Zähnekriegen macht nicht krank", betont die deutsche Stiftung Kindergesundheit und räumt mit einer Reihe von Mythen auf, die auch noch im 21. Jahrhundert existieren.

Nach der Geburt eines Kindes dauert es durchschnittlich sieben Monate und drei Tage, bis der erste Milchzahn durchbricht. Meist wachsen die unteren Schneidezähne als erste. Und es dauert dann oft noch einen weiteren Monat, bis ein weiterer Zahn kommt. Doch dann geht es schneller: Nachdem die oberen Schneidezähne sichtbar sindsind, kommen mit etwa zwölf Monaten die ersten Milchbackenzähne dazu, mit 16 bis 20 Monaten die Eckzähne und mit 20 bis 24 Monaten die zweiten Backenzähne: Dann sind die 20 Milchzähne komplett.

Natürlicher Vorgang

Normalerweise wachsen die sie ohne Verletzung der Schleimhaut und völlig unblutig durch das Zahnfleisch. Der Zahndurchbruch kann aber auch mit Begleiterscheinungen verbunden sein, die für eine Menge Stress in der Familie sorgen: Das Baby wird unruhig, gereizt, weinerlich und misslaunig. Die Schleimhaut im Mund kann sich röten oder bläulich verfärben. Gelegentlich sieht man über einem durchtretenden Zahn auch einen flüssigkeitsgefüllten Raum. Die Spannung im Zahnfleisch ist mitunter schmerzhaft. Die Kinder sabbern mehr und reiben am gereizten Zahnfleisch. Die Temperatur geht leicht in die Höhe.

Erhöhte Temperatur beschleunigt aber die Stoffwechselvorgänge im Körper – und löst so das Durchbrechen der Zähne oft erst aus. Das erweckt den Anschein, als sei das Zahnen die Ursache für das Fieber. Es ist jedoch eher umgekehrt.

Was haben das vermeintliche "Zahnfieber" und die anderen beunruhigenden Symptome wirklich mit dem Zahnen zu tun? Diese Frage hat vor kurzem eine Gruppe von brasilianischen Medizinern an der Universität Santa Catarina in Florianópolis in einer groß angelegten Metaanalyse wissenschaftlicher Studien untersucht.

Großer Durchbruch

Die Studien ergaben tatsächlich eine Reihe von Beschwerden: 70,5 Prozent aller Babys zeigten beim ersten Zahndurchbruch Symptome oder Auffälligkeiten. Am häufigsten waren Rötungen des Zahnfleisches, Unruhe und vermehrter Speichelfluss. Als ebenfalls häufige Begleitsymptome waren Durchfall, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Schnupfen, vereinzelt auch Veränderungen der Haut im Gesicht sowie Erbrechen. Wenn mehrere Zähne gleichzeitig durchbrachen, wurden mehr Beschwerden berichtet.

Der wichtigste Gegenstand der Untersuchung war jedoch die Frage nach dem vermeintlichen "Zahnfieber" und seinen Folgen. Das beruhigende Ergebnis: Der Zahndurchbruch führte zwar tatsächlich häufiger zu einer leichten Temperaturerhöhung, jedoch nur selten zu Fieber über 38 Grad Celsius.

"Auch heute wird das Zahnen oft noch für eine Krankheit gehalten, vor allem von Eltern, die diese kritische Zeit zum ersten Mal beobachten. Tatsache ist aber: Die ‚Zahnkrämpfe’, die früher häufig als Todesursache bei Säuglingen angesehen wurden, waren meist auf Infektionskrankheiten zurückzuführen. Zwischen dem sechsten und achten Monat, genau dann, wenn das Baby zu Zahnen beginnt, lassen die von der Mutter mitgegebenen Abwehrkräfte – der so genannte Nestschutz – nach. Das Kind wird anfälliger für Infektionen.

Auch die Umstellung von Muttermilch auf Flaschenmilch oder festere Nahrung, die meistens in diese Zeit fällt, kann den Organismus des Babys belasten. Das kann auch schon mal die Körpertemperatur ansteigen lassen," sagt der Kinderarzt Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit.

Aberglaube bis heute

Viele Jahrhunderte lang galt das Tragen eines Amuletts als ein probates Mittel gegen Zahnungsbeschwerden von Babys. Besonders dem Bernstein sprach man ein bedeutendes Heilvermögen zu und man glaubte schon einer Ansteckung vorzubeugen, wenn man ihn bloß im Mund hielt. So wurde der Bernstein ein besonders beliebtes Amulett gegen das schwere Zahnen der Kinder. Auch heute noch bieten Drogerien, Apotheken und Internethändler Halskettchen aus echtem oder gefälschtem Bernstein an.

Beweise für diese Wirkung gibt es nicht, wohl aber für die Gefährlichkeit des modischen Baby-Schmucks: Der Glaube, dass eine Kette aus Bernstein das Zahnen erleichtert, ist wissenschaftlich unhaltbar und sogar gefährlich, betont die Stiftung Kindergesundheit. Die Ketten können das Kind beim Spielen und auch beim Schlafen verletzen und sogar strangulieren, wenn sie sich irgendwo verhaken. Derartige Strangulationen stellen in den USA die häufigste gewaltsame Todesursache bei Kindern unter einem Jahr dar. Ihre Häufigkeit hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Gefahr droht aber auch, wenn die Kette reißt: Es besteht die Gefahr, dass das Kind Steine in den Mund nimmt und verschluckt oder dass es sie in Nase und Ohren steckt. "Eltern sollten daher auf diese überflüssigen und gefährlichen Mittel verzichten", empfiehlt Koletzko.

Was tun

Wenn das Zahnen dem Baby Beschwerden macht, tut es ihm gut, auf etwas herumkauen zu können. Mit Wasser gefüllte und gekühlte Beißringe, allerdings nicht aus dem Tiefkühlfach! Auch andere Spielsachen zum Herumkauen sollten glatt sein und keine Kanten haben, damit es keine Verletzungen des Zahnfleisches gibt. Oft hilft es auch, die Zahnleiste des Babys mit dem Finger zu massieren. Flüssige Zahnungsmittel aus der Apotheke enthalten betäubende Substanzen sowie entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkstoffe, meistens allerdings auch Alkohol.

Mit essbaren Zahnungsmitteln sollten Eltern eher vorsichtig sein. Aus den oft zum Kauen empfohlenen Karotten oder harten Brotrinden können leicht kleine Stücke abbrechen und in den falschen Hals geraten – es droht Erstickungsgefahr.

Die ersten Zähne bedeuten übrigens nicht, dass das Kind nun abgestillt werden muss", betont Koletzko. Während des Trinkens kann das Baby nicht in die Brust beißen, solange ihm der Gegenbiss fehlt. Die unteren Zähne sind beim Saugen aber durch die Zunge des Kindes verdeckt." (red/idw, 17.10.2019)